Bayerische Akademie der Wissenschaften

Register zu Schmellers Bayerischem Wörterbuch

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Hinweise zu Schmellers Lautschrift

Inhaltsverzeichnis

1. Schrift und Lautschrift

Das Phonetische hatte Schmeller schon lange beschäftigt, ist er doch als 18jähriger mit der Schrift „Über Schrift und Schriftunterricht“ im Gepäck in die Schweiz zu Pestalozzi gereist. Sein Wörterbuch setzte er auf eine solide theoretische Grundlage: eine „etymologische Orthographie“ und eine phonetische Schrift, um die Aussprache zu bezeichnen. In den „Mundarten Bayerns“ nimmt dieses Kapitel zwei Fünftel ein und ist das Herzstück des Buches. Da das Werk nur wenigen bekannt ist, möchte ich etwas ausführlicher darauf eingehen. Es ist das Ergebnis einer langen theoretischen und praktischen Beschäftigung mit sprachlichen Fragen. Zum sprachhistorischen Wissen, das uns heute so selbstverständlich ist, mußten erst der Zugang und die Art der Darstellung gefunden werden.

Jacob Grimm und Schmeller, jeder für sich und von den angehenden Indogermanisten flankiert, haben am Anfang des 19. Jahrhunderts innerhalb der Germanistik das mit erarbeitet, was heute in jeder historischen Grammatik als Basiswissen vor­ausgesetzt wird: den Laut- und Formenbestand der älteren Sprachstufen. Je nach Interesse beschäftigten sich die ersten Sprachforscher der Zeit mit den entfernteren und ältesten indogermanischen Sprachen, zum Beispiel mit dem Sanskrit, oder mit den näheren – bei Schmeller sind dies eben die alten Sprachstufen des Deutschen und die verwandten germanischen Dialekte. Er sei „von unten“ in seiner Mundartgrammatik vorgegangen, wie er an Jacob Grimm schreibt. Sein Ausgangspunkt sind die mundartlichen Formen, und wo diese mit denen der alten Texte übereinstimmen, muß ein Wort in einem wissenschaftlichen Zusammenhang in dieser „echteren“ Gestalt geschrieben werden. Also wird die allgemeine Rechtschreibung nach Bedarf angepaßt. So schreibt er eben, wie man es auch im Wörterbuch findet: Haus (mhd. hūs), aber Trâum (mhd. troum), vîl, da im Dialekt nicht diphthongiert: (vịl); dagegen lieb, im Dialekt (liəb).

Von größerem Interesse sind aber die Aussprache und die Sichtbarmachung derselben. Dies geschieht in der von Schmeller erarbeiteten Lautschrift und berücksichtigt alle Dialekte Bayerns. Beim obigen Wort lieb steht im Wörterbuch noch (lêib), bei der Sêl (Sə̬l, Sèil, Seəl, Sáil). Vollständigkeit bietet es aber nicht. Dazu wird auf die Grammatik verwiesen (§ 294 ff. bzw. § 183 ff.).

Nur selten ist die schriftliche Form eines Wortes von der mundartlichen Aussprache her nicht festzulegen, weil der etymologische Zusammenhang mit anderen Wörtern nicht klar ist:

„Das Hüebelein [...] eine Portion, ein Bischen. (Ich bin indessen nicht sicher, ob der Wurzelsylbe wirklich üe oder ü, ie oder i gehöre. […].)“ (BWb. I, 1040).

Als diese Methode einmal erdacht worden war, ging es ans Sammeln. Dazu reiste Schmeller, wie heute noch die Dialektforscher, durch die Lande. Für die Gebiete, die ihm weniger vertraut waren, suchte er in einem Aufruf nach Gewährsleuten, die ihm Wörterlisten liefern sollten. Dem Aufruf wurde seine Lautschrift als verbindlich beigegeben. Manche spätere Beiträge finden sich in den Handexemplaren, in Stücke zerschnitten, bei den jeweiligen Wörtern eingeklebt. In der Ausgabe von Frommann sind sie mit in den Text aufgenommen worden.

Die phonetische Schrift, die nicht nur den verschiedenen Lautungen des Bairischen, sondern auch denen der andern Mundarten Bayerns genügen sollte, ist eine Neuerung gegenüber früheren Wörterbüchern und ein großer Vorzug dieses Werks. Dabei wird möglichst auf Sonderzeichen verzichtet, d. h. das normale Al­phabet reicht beinahe aus (s. u.). Hauptsächlich dienen die aus den Schul- und Nachbarsprachen bekannten Akzente als diakritische Zeichen. Schmeller hatte nämlich ein einfaches und gängiges Mittel zur Verfügung, um die beiden Systeme auseinanderzuhalten, das uns heute fehlt: Fraktur gegenüber lateinischer Schrift. Letztere wurde ja noch bis in neueste Zeit für fremdsprachige Einsprengsel im Text, d. h. für jedes erkennbare Fremdwort sowie für Zitate aus anderen Sprachen benutzt. Bei Schmeller werden die phonetischen Formen und Buchstaben lateinisch gedruckt. Im Wörterbuch folgt also aufs Stichwort (Fraktur) die Aussprache in Klammern (lateinisch).

2. Vokale (nach „Mundarten Bayerns“, § 62 ff.)

á„das a der Italiener, Spanier ... das italische a“
â / a„das gewöhnliche gröbere a ... das deutsche a“
à [oder ô]„der volle reine o-Laut“
ê / e„der reine e-Laut. Das e aigu der Franzosen“
è„jener Vokal-Laut, über den uns jedes Lämmchen belehren kann“
é oder ì„das gegen i schwebende e“
i„das reine i“
ô„der volle reine o-Laut“
ó / o [oder ù]„der gegen u schwebende o-Laut“
ö„der ... besonders den Oberrheinern geläufige Laut“
u„der reine u-Laut“
üvgl. ö
əder „dumpfe Vocal“

3. Diphthonge

ái, áu, áü
âi, âu, âü, âə
ài, àu
èi, èü, èə
êi, êü, êə
éi, éu, éə
io, iu,
oi, ou,
ui,
üə

Nachdem das lautliche und das historische Inventar vollständig festgelegt sind, werden die in den verschiedenen Dialekten gehörten und in der beschriebenen Weise notierten Lautvarianten sozusagen strahlenförmig auf einen (im Mittelhochdeutschen / Althochdeutschen / Gotischen / Skandinavischen) vorgefundenen Grundwert projiziert (In den „Mundarten Bayerns“ ist der Gang der Darstellung der umgekehrte).

Mit dem – wohl nicht ganz zufällig gefundenen – § 100 fängt in der Grammatik das Kapitel „Eigenheiten der Dialekt-Aussprache in Betreff der Vocale“ an. Darin wird jede historisch festgelegte Einheit (z. B. das î und das ie) mitsamt den Entsprechungen bis in die kleinsten dialektalen Verästelungen mit reichlich Beispielen dargestellt. Die Aufzählung fängt bei a an und hört mit ü auf.

Als Beispiel dient uns der Diphthong eu (§ 246 – 261). (Mit den Pünktchen werden hier die geographischen Angaben Schmellers angedeutet):

eu [in neu] lautet wie

á ... ... iu ...

ái ... èoi ...

áuêiou

áüéuui

âii (gedehnt) … ü

i (kurz) …

Das heißt: In seinem Untersuchungsgebiet finden sich alle diese Varianten.

4. Konsonanten

In genau der gleichen Weise werden die Konsonanten in zwei Schritten präsentiert. Die Zahl der historischen Schreibungen ist hier bedeutend kleiner. Den Ausführungen in „Mundarten Bayerns“ (§ 394 ff.) sind folgende Lautungen für Verschluß- und Reibelaute zu entnehmen:

b„wie italisches, von w und p verschiedenes, ächtes b“
„lautet wie bb, d. h. mit entschiedenem b-Laut und kurzem Weggehen über den vorangehenden Vokal“
„lautet wie f, doch nur in einzelnen Gegenden und Wörtern“
ch„scharfer Hauch“
dvon aspiriertem t und vom italischen t verschieden
ddnicht bis zum t geschärfter Laut; mit Verkürzung des Vokals
fweicher als in den romanischen Sprachen
ffein scharfes f
gwie französisch ga, gue, gui usw.
ggwie französisch ca, que, qui usw.
ghweiches ch
h
hhweiches ch
hr
hhr ein stark gehauchtes r
kreines k
khreines k mit Hauch
pwie ein italisches p
pp
pf
p-hp mit Nachhauch
sweiches s
schweiches sch: wie französisch ja, je usw.
ssscharfes s
schscharfes sch; wie französisch cha, che usw.
tdas italische t
t-ht mit Nachhauch
z
tzgeschärftes z

Schmeller ist bestrebt, die Lautverhältnisse – synchron und diachron – ausführlichst zu erklären. Daß dies auf den ersten Blick so unübersichtlich erscheint, liegt nicht zuletzt an dem viel zu engen Druck der Grammatik, wo die Paragraphen kaum auseinandergerückt sind und sogar deren Nummern oft schlecht zu entdecken sind. Seine Darstellung verfolgt, wie gesagt, zwei Prinzipien: Aus inhaltlichen und systematischem Gründen besteht er auf seiner etymologischen Schreibung der Wörter, die er historisch-vergleichend begründet. Im übrigen bleibt er bei der Einführung und Beschreibung der Vokale und Diphthonge ebenso wie bei den Konsonanten bis in die Darstellung der lautlichen Repräsentanz der einzelnen Buchstaben bei der üblichen Ordnung. Es ist ja in der Tat nicht ganz falsch, hier von Buchstaben zu sprechen! Denn nicht nur bei der Beschreibung der Konsonanten geht Schmeller dem Alphabet nach: b, c, d …, sondern er listet auch die Aussprachevarianten in dieser Reihenfolge auf (vgl. oben). Ein Beispiel:

§ 436: D lautet wie d ...
 dd ...
 g ...
 r ...
 t ...

Es bleiben dabei keine Fälle unberücksichtigt. Wie es in der Lautschrift besondere Zeichen für nicht ausgesprochene Laute gibt (s. u.), werden auch solche Beispiele am Ende der Aufzählung erwähnt:

§ 445: d lautet gar nicht …,

Ja, sogar ein anorganischer (angefügter) Konsonant findet am Schluß (§ 451) seinen Platz!

In unserer Aufzählung fehlen noch die Halbvokale: m, ng, l, n, r, „die entweder mit in ihrer vocalischen, oder blos in ihrer consonantischen Natur (ohngefähr wie i als i oder j, und wie u als u und w) erscheinen können“ (§ 57).

Um die Verbindungen dieser Laute mit anderen phonetisch zu beschreiben, setzt Schmeller einerseits sein „verstumpftes“ ə (Schwa) (§ 77 – § 79), andererseits die Hilfszeichen, die nicht ausgesprochene Konsonanten angeben.

Einige Beispiele: aus dem Wörterbuch:

Faərscht (‘Forst’)

biə’chə˜, adj. (‘aus Birkenholz’)

feə˜zln (‘fenzeln’, ‘necken’)

Fə̬ld, Fə̬l’ (‘Feld’)

fɩ̟llə-ln (‘vom Pferde: Junge werfen’)

hə̗lzə˜ (‘hölzern’)

Die Hilfszeichen sind je nach Art des Konsonanten verschieden:

Für ein nicht voll artikuliertes n oder m steht das bekannte Nasalzeichen ˜ – z. B. fei˜ (‘fein’), Haə˜gərt (‘Haimgarten’), für ein r ein ‛: Há‛tz (‘opf. Herz’), Rou‛ (‘Rohr’), fà‛n (‘fahren’),

für jeden anderen Konsonanten ein ’:

Rau’fang (‘Rauchfang’)

Fà’n (‘Faden’)

Auch ein nicht gesprochener Vokal wird markiert:

fèht·n (‘fechten’).

Im folgenden Beispiel treten gleich drei verschiedene Fälle auf:

fei˜’l· (‘feindlich’, ‘angestrengt’).

Im Wörterbuch kommen diese Ersatzzeichen ständig vor und helfen mit, die Gesetzmäßigkeiten der mundartlichen Aussprache zu klären. Kurz ausgedrückt: Die etymologische Form eines Stichworts wird Buchstabe für Buchstabe phonetisch abgebildet. Was nicht hörbar ist, wird wenigstens sichtbar!

In Fällen, wo sich die Betonung im Dialekt von der Standardsprache unterscheidet, wird auch diese markiert. Es kann natürlich nicht mit Accenten geschehen. Hier verwendet Schmeller Morenzeichen. Die Aussprache von Musik (I, 1675) wird mit (Muʃi’) wiedergegeben, also mit Fortis-s und stummem k. Außerdem ist die Betonung mit (- ˘) angegeben. Andere Beispiele:

halt âuch (˘ -);

ja halt! (- ˘) „ja freylich“ (I, 1098);

fürher (- ˘), (fürhə‛, für’ə‛) „hervor“.