Bayerische Akademie der Wissenschaften

Textile Inschriften und Inschriften auf Textilien

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Textile Inschriften
und Inschriften auf Textilien Ein Leit-Faden

Tanja Kohwagner-Nikolai

Hg. vom Ausschuss „Deutsche Inschriften des Mittelalters und der frühen Neuzeit“
Leitung: Bernd Päffgen

2022 · München · https://publikationen.badw.de/de/F1
Forschungsmaterialien und ‑beiträge der BAdW 1
Lizenz CC BY

Inhaltsverzeichnis

1. Textile Inschriften im Fokus − eine Inschriftengruppe mit besonderen Eigenschaften

Eine besondere Inschriftengruppe mit spezifischen Eigenschaften stellen textile Inschriften und Inschriften auf Textilien dar. Erstere bestehen aus textilem Material wie Wolle, Leinen oder Seide, bei Letzteren sind die Buchstaben aus verschiedenen, nicht textilen Materialien auf einen textilen Träger aufgebracht. Während Renate Baumgärtel-Fleischmann 1988 mit dem Thema Inschriften auf Textilien noch „wissenschaftliches Neuland“ Baumgärtel-Fleischmann (1990) S. 105. betrat, sind inzwischen vereinzelte Textilien einer epigraphischen Analyse unterzogen worden. Doch muss auch weiterhin konstatiert werden, dass man sich bei diesen Untersuchungen häufig ausschließlich auf die Inschrift konzentrierte, ohne das Medium Textil und seine Besonderheiten zu berücksichtigen. Dabei ist Materialität ein wesentlicher Faktor für die Herstellung sowohl von Inschriften als auch von Textilien. Textilien waren in früheren Jahrhunderten von ungleich höherer Bedeutung als heute. Sie galten wegen ihrer kostbaren Materialien, diffizilen Techniken und der Transportierbarkeit als Luxusgüter und diplomatische Geschenke ersten Ranges. Zum Teil wurden sie mit bildlichen Darstellungen und eben auch Inschriften ausgestattet, was ihren Wert noch steigerte. Doch textile Inschriften folgen technisch bedingt anderen Gesetzmäßigkeiten als Inschriften in Stein oder Metall, unterliegen anderen Formen von Verschleiß, Reparatur und Veränderung. Innerhalb der Objektgruppe sind verschiedene Techniken zu berücksichtigen, wobei zunächst Gewebe bildende Techniken wie Weben, Wirken oder Stricken von Trägerstoffe verzierenden Techniken wie beispielsweise Sticken, Malen oder Drucken zu unterscheiden sind. All diese Techniken haben jeweils ihre Besonderheiten in Bezug auf die Buchstabengestaltung und ihre Erhaltung.

2. Gewebe bildende Techniken

2.1 Gestrickte Inschriften

Beim Stricken wird mit einem nahezu unendlichen Faden Wilckens (1991) S. 336. ein Maschenstoff hergestellt, der lange Zeit ausschließlich mit sogenannten rechten Maschen in Runden als Schlauch gearbeitet wurde. Dazu arbeitete man auf einem Strickrahmen mit einer Nadel oder aber mit fünf Nadeln.

Stricken

Stricken

Beim Strickrahmen wird der Arbeitsfaden über die Fadenschlingen der Vorreihe gelegt. Dann wird die untere Schlaufe über den Faden zur Mitte gehoben. Und so wird immer weitergearbeitet. (Youtube MfTOfP4vF28)

Bei fünf Nadeln wird der Arbeitsfaden hinter die zu bearbeitenden Maschen gelegt, mit der freien Nadel von vorne in die nächste Masche eingestochen und der Arbeitsfaden durch die Masche gezogen. (Youtube wpX7bdd5kPg)

Diese Technik bedingt, dass Buchstaben gestrickter Inschriften als Kombination v-förmiger Maschen eher eckig bzw. getreppt erscheinen, wie das Beispiel roter Pontifikalhandschuhe Pontifikalhandschuhe, rote Seide und Goldlahn um Seidenseele, 25 × 13 cm, Italien (?) 1. Hälfte 17. Jahrhundert, Bayerisches Nationalmuseum München Inv.-Nr. L T4085-4086. mit goldenem Jesusmonogramm in Kapitalis auf dem Handrücken (Abb. 1) verdeutlicht. Da für gegengleiche Handschuhe die Mustervorlage gespiegelt werden muss, kann es sein, dass ein Handschuh – in der Regel der linke – die Inschrift spiegelverkehrt zeigt (Abb. 2), wenn die Inschrift nicht explizit von diesem Vorgang ausgenommen wird. Pontifikalhandschuhe, gestrickt mit Seide und Goldlahn, Spanien (?) 16. Jahrhundert, Victoria and Albert Museum London Inv.-Nr. 876&A-1897 (13.09.2021).

Abb. 1

Abb. 1: Gestrickte Pontifikalhandschuhe, Italien (?) 1. Hälfte 17. Jahrhundert, Bayerisches Nationalmuseum München Inv.-Nr. L T4085-4086, Leihgabe der Ludwig-Maximilians-Universität München. (Rechte: LMU München)

Abb. 2

Abb. 2: Gestrickte Pontifikalhandschuhe, Spanien (?) 16. Jahrhundert, Victoria and Albert Museum London Inv.-Nr. 876&A-1897. (Rechte: © Victoria and Albert Museum London)

2.2 Gewebte Inschriften

Weben ist eine der ältesten Kulturtechniken zur Herstellung textiler Flächengebilde, wobei mindestens zwei Fadensysteme, Kette und Schuss, rechtwinklig verkreuzt werden. Dazu werden in Längsrichtung mehrere parallele Kettfäden gespannt. Durch Heben und Senken bestimmter Kettfäden werden sogenannte Fächer geöffnet, in die der Schussfaden von einer Webkante zur anderen über die gesamte Webbreite eingetragen wird, und anschließend wieder geschlossen. Die Kreuzung von Kett- und Schussfäden wird Bindung genannt. Zu unterscheiden sind drei Hauptbindungsarten:

Weben

Leinwandbindung

Die Leinwandbindung ist die einfachste, älteste und festeste Bindungsart, bei der der Schussfaden abwechselnd über und dann wieder unter den Kettfäden zum Liegen kommt. Auf der Rückseite des Gewebes erscheint ein um einen Bindungspunkt versetztes, also nahezu identisches Bild.

Köperbindung

Die Köperbindung basiert auf einem System von mindestens drei Kett- und drei Schussfäden. Der Schussfaden kommt unter einem Kettfaden, dann über (mindestens) zwei Kettfäden, dann wieder unter einem Kettfaden zum Liegen. Dieser Rhythmus wird in den folgenden Reihen jeweils um einen Kettfaden versetzt, sodass sich die Bindungspunkte um jeweils einen Kettfaden in fortlaufend derselben Richtung verschieben. Dabei entstehen markante diagonale Grate, die entweder von links oben nach rechts unten (S-Grat) oder von rechts oben nach links unten (Z-Grat, wie im Schema) verlaufen. Die beiden Seiten eines in Köperbindung gewebten Stoffes sehen unterschiedlich aus.

Atlasbindung

Die dritte Bindungsart ist die Atlasbindung auf der Basis von mindestens fünf Kett- und fünf Schussfäden. Bei einem Atlas bindet jeder Schuss über vier Kettfäden und wird dann unter dem folgenden Kettfaden geführt. Die Bindungspunkte berühren einander nicht. Auf diese Weise entsteht ein Gewebe, bei dem auf der Oberseite die parallelen Schussfäden bei weitem überwiegen, was dem Stoff einen vom Lichteinfall abhängigen Glanz verleiht. Der Stoff ist zweiseitig, auf der Rückseite überwiegen entsprechend die Kettfäden.

(Youtube XD9gQ4uGJP4)

Für die Herstellung gewebter Inschriften werden häufig Kombinationen dieser Bindungsarten mit zwei oder mehr Kett- und Schussfadensystemen verwendet, wie das Beispiel eines Handtuchs  Überhandtuch, Leinen mit Musterstreifen in weißer und blauer Baumwolle, hellblauer Seide und Häutchengold, 142 × 41 cm, gewebt von Hans Velman, Augsburg um 1460-1470, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Inv.-Nr. Gew634 (13.09.2021). (Abb. 3) zeigt.

Abb. 3a Abb. 3b

Abb. 3a und 3b: Vorder- und Rückseite des Überhandtuchs, gewebt von Hans Velman, Augsburg um 1460-1470, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Inv.-Nr. Gew634. (Rechte: © Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Fotos: Sebastian Tolle)

In einen leinenen Grundstoff in Köperbindung mit Fischgratmusterung wurden Querstreifen mit blauen Baumwoll‑, Häutchengold- und einigen Seidenmusterschüssen eingearbeitet. Besonders deutlich ist der Nachname des Webers velman leicht geschwungen, blau in hellem Grund als Gotische Minuskel über den Löwen zu erkennen (Abb. 4).

Abb. 4

Abb. 4: velman – Detail aus dem Überhandtuch, gewebt von Hans Velman, Augsburg um 1460-1470, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Inv.-Nr. Gew634. (Rechte: © Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Foto: Sebastian Tolle)

Die mit Nodi verzierten senkrechten Linien dienen nicht nur der Trennung, sondern sind gleichzeitig die rapportbedingten Spie­gel­ach­sen, sodass in einem Feld der Name korrekt zu lesen ist, wohingegen er im nächsten Feld spiegelverkehrt erscheint. In dem Musterstreifen über den Löwen wurde der Vorname des Webers hans Ton in Ton eingewebt, gespiegelt an paarig-gefiederten Blättern (Abb. 5).

Abb. 5a Abb. 5b

Abb. 5: hans – Detail aus dem Überhandtuch, gewebt von Hans Velman, Augsburg um 1460-1470, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Inv.-Nr. Gew634. (Rechte: © Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Foto: Sebastian Tolle­ / Bearbeitung: Tanja Kohwagner-Nikolai)

Die weiteren Musterstreifen begleiten zwölf ebenfalls Ton in Ton gewebte Schriftbänder, in denen sich das Wort amor wiederholt, gespiegelt an vierblättrigen Blüten (Abb. 6).

Abb. 6a Abb. 6b

Abb. 6: amor – Detail aus dem Überhandtuch, gewebt von Hans Velman, Augsburg um 1460-1470, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Inv.-Nr. Gew634. (Rechte: © Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Foto: Sebastian Tolle­ / Bearbeitung: Tanja Kohwagner-Nikolai)

Hans Velmann war Weber in Augsburg. Der Vater wird 1422 erwähnt, sein gleichnamiger Sohn 1462. Wilckens (1972) S. 358. Dieses Handtuch dürfte auch als Probe seines Könnens am Webstuhl zu verstehen sein und verdeutlicht, dass bei gewebten Inschriften ohne farbige Kontraste von Schrift und Hintergrund das Spiel von Licht und Schatten bzw. die Flexibilität des Materials zur Lesbarkeit beiträgt. Auch wenn sich die Gestaltung der Buchstaben an das rechtwinklige System der Fadenkreuzungen anpassen muss, sind mit angemessen hoher Fadendichte alle Schriftarten und ‑formen möglich. Gespiegelte Inschriften wirken oft etwas ungelenk, das liegt aber nur an dem für die Augen des Betrachters ungewöhnlichen Spiegeleffekt. Insgesamt wird deutlich, dass gewebte Inschriften aufgrund der besonderen technischen Herausforderung des Webprozesses in der Regel eher kurz sind und aus sich wiederholenden Worten bestehen. Dadurch gehören sie in den Bereich seriell hergestellter Inschriften und sind nicht im eigentlichen Sinn epigraphisches Material. Sehr isoliert steht hier das Weiß in Weiß gewebte Seidenfragment der sogenannten Dalmatik des hl. Quiriacus Sogenannte Dalmatik des hl. Quiriacus aus Taben, Seidengewebe, Vorderer Orient 10. Jahrhundert (?), Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Trier (Museum am Dom). Schorta (2001) S. 19.. Dies dürfte am enormen technischen Aufwand liegen, der sich mit der Ausführung gewebter Inschriften verband. Peter (2021) S. 121-140. Die Beischrift um das Quadrat mit der Darstellung zweier menschlicher Figuren wird basierend auf einer Musterrekonstruktion des 19. Jahrhunderts bislang + ARCA­ / NOE SEM CAM­ / IAPET gelesen, wobei die Inschrift einmal die rechte Hälfte des Quadrats und – an der senkrechten Achse durch das Anfangskreuz und das letzte T gespiegelt – in Spiegelschrift die linke Hälfte rahmt. Doch der Buchstabenbefund einer eher unzial anmutenden A-Form neben dem spitzen A mit breitem Deckbalken und gebrochenem Mittelbalken ist nicht eindeutig. Außerdem finden sich zwischen N und O von NOE Spuren, die auf einen weiteren Buchstaben hindeuten. Die Formen der beiden M sind in der Rekonstruktion sehr unterschiedlich. Das letzte Wort lautet korrekt IAFET, womit die Umschrift die Namen der vier Männer nennt, die auf der Arche die Sinflut überlebten. Wilckens (1991) S. 65. Damit wird deutlich, dass die Umschrift keinen Bezug zum ersten Petrusbrief haben muss, wie dies Wilckens referiert, sondern sich auf das Alte Testament (z. B. Gen 7, 13) bezieht. Das Quadrat wird an jeder Seite von zwei Bogenfeldern gerahmt. In den beiden Bogenfeldern über dem Quadrat ist je ein Vogel zu erkennen, wohl die Taube mit dem Ölzweig; in den entsprechenden Bogenfeldern unter dem Quadrat ist wohl der aasfressende Rabe dargestellt. In den vier seitlichen Bogenfeldern sind jeweils zwei menschliche Büsten wiedergegeben, die den vier Ehepaaren auf der Arche entsprechen dürften. Somit könnte die zentrale Darstellung das Dankopfer nach der Sintflut zeigen. Bislang unberücksichtigt blieben die rahmenden Inschriften der acht Bogenfelder und der insulare Einfluss, den manche Buchstabenformen aufweisen. Wie bereits Schorta (2001) S. 19 feststellte, könnte eine sorgfältige Autopsie und epigraphische Analyse weitere Erkenntnisse bringen. An dieser Stelle ist Rüdiger Fuchs (Mainz) sehr herzlich für den kollegialen Austausch zu danken.

Bis auf wenige Ausnahmen kommen gewebte Inschriften im abendländischen Kontext erst ab dem 14. Jahrhundert vermehrt vor und wenden sich mit allgemeingültigen Kurztexten oder Buchstabenkombinationen an einen Kunden, wie das Beispiel eines Gewandfragments Fragmente eines Frauengewands aus einem Grab der Münchner Frauenkirche (1949 aus dem Hochgrab der Kaiserin Beatrix), Seidengewebe mit lancierten Goldfaden (vergoldeter Silberlahn um Seidenseele), 28 × 34, 6,5 × 10 cm, Lucca oder Venedig (?) um 1400, Bayerisches Nationalmuseum München Inv.-Nr. NN2813.a-c. (Abb. 7) zeigt.

Abb. 7

Abb. 7: Fragment eines Frauengewands aus einem Grab der Münchner Frauenkirche, Lucca oder Venedig (?) um 1400, Bayerisches Nationalmuseum München Inv.-Nr. NN2813.a (Rechte: Bayerisches Nationalmuseum München, Foto: Bastian Krack)

Sicher zu lesen sind die Buchstaben aey. Die drei oder vier weiteren Buchstaben lassen durch einen erheblichen Unterschied im Erscheinungsbild zwischen der ersten und der zweiten Hälfte der Umschrift Interpretationsspielraum: nach einem o folgt v oder ll, der letzte Buchstabe könnte als f oder Bogen-r gelesen werden. Kom­ple­xe­re oder personalisierte Inschriften bedingen einen Auftraggeber und müssen als exklusive Luxusprodukte von hoher Repräsentationswirkung eingeordnet werden.

Anders verhält es sich bei Inschriften außereuropäischer Kulturen. So wird zum Beispiel bei Kufi-Inschriften bei Anrufungen Allahs häufig bewusst in den Webprozess eingegriffen, um an einer Stelle einen winzigen Fehler einzubauen, wie dies am Beispiel des Schleiers aus dem Grab Papst Clemensʼ II. († 1047) zu beobachten ist. Schleier aus dem Grab Papst Clemensʼ II., Seidengewebe in Leinwandbindung, 149 × 100 cm, Bagdad oder Ägypten (?) vor 1047, Diözesanmuseum Bamberg Inv.-Nr. 3.1.0047; DIO 6 (Stadt Bamberg (Textilien)) Nr. 3. Im Schriftband findet sich eine sowohl an einer vertikalen als auch an einer horizontalen Achse gespiegelte Wiederholung der Formel barakat [A]llâh (Gottes Segen). Auf der Vorderseite des Gewebes erscheinen die Schriftzeichen hell auf blauschwarzem Grund, auf der Rückseite dunkel auf goldgelbem Grund. An einer Stelle wurde ein Schaft ausgelassen, also eine beabsichtigte Verschreibung eingewebt (Abb. 8), um zu zeigen, dass nichts Irdisches vollkommen ist.

Abb. 8

Abb. 8: Bewusst eingearbeiteter Webfehler. Detail aus dem Schleier Papst Cle­mensʼ II., Bagdad oder Ägypten (?) vor 1047, Diözesanmuseum Bamberg Inv.-Nr. 3.1.0047 (Rechte: Diözesanmuseum Bamberg, Foto: Tanja Kohwagner-Nikolai)

Eine weitere Art des Webens, die größere Freiheiten bei der Gestaltung von abwechslungsreichen Inschriften erlaubt, ist das Brettchenweben zur Herstellung textiler Bänder und Gewebeabschlusskanten, d. h. vergleichsweise schmaler Textilstreifen.

Brettchenweben

Brettchenweben

(Graphik nach Heidi Blöcher 2011)

Bei dieser Technik laufen die Kettfäden, die an einem speziellen Brettchenwebstuhl oder ‑rahmen, aber auch am Gürtel des Webers gespannt sein können, durch eine die Breite des Bandes bestimmende Anzahl von Webbrettchen von drei- bis achteckiger Form mit einer den Ecken entsprechenden Anzahl von Löchern. Die Bildung des Webfaches erfolgt durch Drehen der Brettchen. Ein in das Webfach eingebrachter Schussfaden verbindet das Kettfadensystem zu einem Gewebe. Durch verschiedene Wechsel bei der Drehung können sowohl Leinwand-, Köper- als auch Atlasbindungen erzeugt werden. (Youtube 1cG_zBAj7Qc oder Youtube 7wmWNLXu4WY)

Fragmente einer brettchengewebten Goldborte mit ehemals wohl roten, heute stark verblassten Majuskelinschriften finden sich auf den Pontifikalschuhen Pontifikalschuhe, farbig gemustertes Seidengewebe und Brettchenborte (Seide und Goldlahn um Seidenseele), 14 × 9 × 30 cm (Borte 1,1 × 10 cm), vor 1196, Diözesanmuseum Bamberg Inv.-Nr. 3.1.0053; DIO 6 (Stadt Bamberg (Textilien)) Nr. 1. aus dem Grab des Bamberger Bischofs Otto II. († 1196). Auf der Fersennaht des einen Schuhs steht · CALCIATI · PEDES Eph 6, 15: et calciati pedes in praeparatione evangelii pacis (und die Füße gestiefelt mit der Bereitschaft für das Evangelium des Friedens). (Abb. 9).

Abb. 9

Abb. 9: Schuh I aus dem Grab Bischof Ottos II. († 1196), farbig gemustertes Seidengewebe und Brettchenborte (Seide und Goldlahn um Seidenseele), Süddeutschland (?) vor 1196, Diözesanmuseum Bamberg Inv.-Nr. 3.1.0053 (Rechte: Diözesanmuseum Bamberg, Foto: Tanja Kohwagner-Nikolai)

Alle Buchstaben besitzen Sporen, bei den Rundungen sind Bogenschwellungen erkennbar. Das A ist als kapitales A mit Deckbalken und kräftigerem rechten Schrägschaft gebildet. P und D zeigen leicht aufgeblähte Bögen. Das E kommt sowohl in der kapitalen wie unzialen Form vor, wobei beide durch Sporen annähernd bis vollständig geschlossen sind, während das C stets offen ist. Nimmt man die weiteren Borten auf den Pontifikalschuhen sowie die im selben Grab gefundenen und in unmittelbarem Werkstattzusammenhang stehenden Borten Brettchenborte (Seide und Goldlahn um Seidenseele), 1,1 × etwa 170 cm, vor 1196, Diözesanmuseum Bamberg Inv.-Nr. 2728/​3-42; DIO 6 (Stadt Bamberg (Textilien)) Nr. 2. mit ihren Inschriften (Abb. 10) hinzu, lassen sich weitere Buchstabenformen beobachten.

Abb. 10

Abb. 10: Fragment der Borte aus dem Grab Bischof Ottos II. († 1196), Brettchenborte (Seide und Goldlahn um Seidenseele), Süddeutschland (?) vor 1196, Diözesanmuseum Bamberg Inv.-Nr. 2728/​3-42 (Rechte: Diözesanmuseum Bamberg, Foto: Tanja Kohwagner-Nikolai)

F kommt sowohl in der kapitalen wie runden Form vor. Das gilt auch für das M, wobei die unziale (runde) Form symmetrisch gestaltet ist. Das H wurde unzial gebildet, G ist stark eingerollt. B und R zeigen leicht aufgeblähte Bögen. Die Cauda des R ist oben geschwungen verbreitert, an der Unterseite jedoch glatt diagonal. Q besitzt eine eingestellte Cauda. Der linke Schrägschaft des kapitalen V ist kräftiger gearbeitet, wobei parallel die Form des runden U aus zwei Schäften und Verbindungsbogen vorkommt. Im Vergleich mit der Widmungsinschrift am Klosterneuburger Altar von 1181 Kloos (1992), S. 170; vgl. zu ähnlich frühen Formen der Gotischen Majuskel auch Fragmente einer Glasmalerei in DI 96, (Northeim) G1 Nr. 9, oder ein Reliquiengefäß aus dem Braunschweiger Dom, DI 35 (Stadt Braunschweig I) Nr. 19. (Abb. 11) ist diese Schriftart als eine frühe Form der Gotischen Majuskel, zumindest aber als Übergangsschrift von der Romanischen zur Gotischen Majuskel einzustufen Bornschlegel (2010) S. 209-211., was den innovativen Charakter textiler Inschriften und ihr Potential als Vermittlungsmedium nahelegt.

Abb. 11

Abb. 11: Alphabet-Vergleich zwischen den Borten aus dem Grab Bischof Ottos II. († 1196) und dem Klosterneuburger Altar von 1181 (links: Otto-Borten, rechts: Klosterneuburger Altar, Zeichnung: Tanja Kohwagner-Nikolai)

2.3 Gewirkte Inschriften

Im Gegensatz zu gewebten Textilien mit ihren Musterwiederholungen stehen bei Wirkereien zentrale Bilder oder Szenenabfolgen im Mittelpunkt. Die Inschriften sind dementsprechend abwechslungsreicher. Im Mittelalter wurden Wirkereien zunächst an einem Hochweb- bzw. Hochwirkstuhl (haute-lisse), später an einem Flachweb- bzw. Flachwirkstuhl (basse-lisse) hergestellt. Am fertigen Produkt ist das nicht zu unterscheiden.

Wirken

Weben (Zeichnung)

Weben (Ablichtung)

Auch beim Wirken wird mit aufgespannten Kettfäden gearbeitet, in die ein Schussfaden eingebracht wird. Im Prinzip handelt es sich um eine klassische Leinwandbindung. Im Unterschied zum Gewebe in Leinwandbindung werden die Kettfäden vollkommen von den Schussfäden verdeckt, sodass am fertigen Produkt nur parallele Rippen die darunterliegenden Kettfäden verraten. Das liegt daran, dass hier nicht die Kettfäden die Bewegung ausführen, sondern der Schussfaden. Die Schussfäden aus Wolle, Leinen, Seide oder auch Metalllahn reichen auch nicht über die gesamte Breite des herzustellenden Textils, sondern werden nur dort eingelegt, wo es für das Bild notwendig ist. Am Rand der Farbfläche (nicht des Gewebes!) wendet der Schussfaden. Um lange Schlitze zwischen nebeneinander liegenden Farbflächen zu vermeiden, verwendet man unterschiedliche Verzahnungen bzw. Verschränkungen oder verbindet sie mit – in einem weiteren Arbeitsschritt eingebrachten – Wickelstichen.

(Youtube jIbu-dJuEh0)

Grundlage für das Motiv ist ein farbiger Entwurf oder auch ein Gemälde. Als Verbindungsglied zwischen dem Entwurf und der Wirkerei dient ein originalgroßer Karton (im Mittelalter auch als dünner Stoff denkbar), auf dem die vorgegebenen Konturen festgelegt worden sind. Dieser ‚Karton‘ wird als konkrete Arbeitsvorlage entweder im Rücken des Wirkers positioniert (Haute-lisse-Stuhl) oder unter die Kettfäden geschoben (Basse-lisse-Stuhl). Da von der Rückseite gearbeitet wird, bedeutet dies, dass diese Arbeitsvorlage spiegelverkehrt angelegt sein muss. Wird dies nicht bedacht, kann es gerade im Bereich der Inschriften leicht zu einer spiegelverkehrten Ausführung im fertigen Produkt kommen, wie dies ein Behang mit Wilden Leuten Behang mit Wilden Leuten, Wirkerei in Wolle über Leinen, 83 × 997 cm, Elsass Anfang 15. Jahrhundert, Historisches Museum Regensburg Inv.-Nr. AB 4. (Abb. 12) sehr deutlich mit der Beischrift · wir · wildlvt · pṿen Getrennt durch den Arm einer Wilden Frau und im Bereich des zweiten Buchstaben beschädigt. · ditz · grvt · zeigt.

Abb. 12

Abb. 12: Behang mit Wilden Leuten, Wirkerei in Wolle über Leinen, 83 × 997 cm, Elsass Anfang 15. Jahrhundert, Historisches Museum Regensburg Inv.-Nr. AB 4. (Rechte: Museen der Stadt Regensburg)

Meist waren Wirker in der Lage, dieses Problem selbstständig auszugleichen, aber gerade N und S kommen oft spiegelverkehrt vor. Als frühes Beispiel dieser Technik sind die Halberstädter Teppiche zu nennen: der Abrahams- oder Michaelsteppich Abrahams- oder Michaelsteppich, Wirkerei in Wolle und Leinen über Leinenkette, 122 × 1026 cm, Halberstadt um 1150, Domschatz Halberstadt Inv.-Nr. 516; DI 75 (Halberstadt Dom) Nr. 10., der Apostelteppich Apostelteppich, Wirkerei in Wolle und Leinen über Leinenkette, 118 × 897 cm, Halberstadt um 1170, Domschatz Halberstadt Inv.-Nr. 517; DI 75 (Halberstadt Dom) Nr. 14 . und der Karlsteppich Karlsteppich, Wirkerei in Wolle und Leinen über Leinenkette, 158 × 163 cm, Halberstadt um 1230-1240, Domschatz Halberstadt Inv.-Nr. 520; DI 75 (Halberstadt Dom) Nr. 23. verwenden in ihren Inschriften eine Romanische bzw. Gotische Majuskel. In einem Regensburger Behang mit der thronenden Minne Behang mit der thronenden Minne, Wirkerei in Wolle über Leinenkette, ca. 180 × 250 cm bzw. 140 × 70 cm, Regensburg um 1410-1420, Historisches Museum Regensburg Inv.-Nr. AB 2; Wilckens (1980) S. 24-31. wird ein Jüngling arkadenähnlich von einem Schriftband überfangen (Abb. 13), in dem in Gotischer Minuskel · got · grvs · dich · vater · eckart · biṭ · ṿ[..]tz · dv · mir · zv · dieser · vart zu lesen ist.

Abb. 13

Abb. 13: Detail aus dem Behang mit der thronenden Minne, Wirkerei in Wolle über Leinenkette, Regensburg um 1410-1420, Historisches Museum Regensburg Inv.-Nr. AB 2 (Rechte: Museen der Stadt Regensburg)

Aufgrund des dem Schriftbandschwung folgenden Schriftverlaufs und der am System paralleler Kettfäden gebundenen Technik ergeben sich Abweichungen vom üblichen gitterförmigen Charakter dieser Schriftart mit parallel geführten Schäften. Bereits in diesem Schriftband, mehr jedoch noch in dem Schriftband des angesprochenen Greises rechts, bei dem nach den Worten · zv · diser · v[art] ... nur mehr die Worttrenner erhalten sind, erkennt man die Problematik der Schwarzfärbung, die unter Sauerstoffeinfluss zu einem Ausfall der schwarzen Wolle führt, die hier für die Schrift verwendet wurde. Beim z und dem folgenden diser zeigen die ergänzenden Stopfungen im Vergleich zu den im Ursprungsbestand erhaltenen Buchstaben des zuvor erwähnten Schriftbands Missverständnisse im Buchstabenaufbau.

Die Problematik ergänzender Rekonstruktion im Inschriftenbereich wird besonders beim Titulus der Geduld Detail aus einem Behang mit dem Kampf der Tugenden und Laster, Wirkerei in Wolle über Leinenkette, 126 × 968 cm, Regensburg um 1400, Historisches Museum Regensburg Inv.-Nr. AB 3. (Abb. 14) · gedvltigkait · deutlich: die dunklen Bereiche gehören zum ursprünglichen Bestand, während die roten Buchstaben mehr oder weniger gelungene Reparaturen darstellen; gerade e, d und v haben wenig mit einer Gotischen Minuskel gemein.

Abb. 14

Abb. 14: Detail aus dem Behang mit dem Kampf der Tugenden und Laster, Regensburg um 1400, Historisches Museum Regensburg Inv.-Nr. AB 3. (Rechte: Museen der Stadt Regensburg)

Während beim oben erwähnten Behang mit der thronenden Minne die übrigen Stellen im Schriftband des alten Mannes nicht ergänzt, sondern mit heller Wolle gestopft wurden, lassen bei anderen Wirkereien – wie eine weitere Regensburger Wirkerei Behang mit Wilden Leuten, Wirkerei in Wolle und Leinen über Leinenkette, 67 × 257 cm, Regensburg (?) um 1420, Bayerisches Nationalmuseum München Inv.-Nr. L 81/​66. (Abb. 15) zeigt – nach Ausfall der schwarzen Wolle nur mehr die sonst verdeckten Kettfäden und die Kanten des umliegenden hellen Schriftbandgrundes die ursprüngliche Schrift erahnen.

Abb. 15

Abb. 15: Detail aus dem Behang mit Wilden Leuten, Wirkerei in Wolle und Leinen über Leinenkette, Regensburg um 1420, Bayerisches Nationalmuseum München Inv.-Nr. L 81/​66, Leihgabe der Kunsthandlung Julius Böhler. (Rechte: Bayerisches Nationalmuseum München, Foto: Tanja Kohwagner-Nikolai)

Um die problematische Schwarzfärbung wissend haben die Wirker immer wieder versucht, dunkle Farbflächen mit anderen Mitteln herzustellen, doch sind diese durch Sonnenlicht heute meist ausgeblichen, was am Beispiel eines Behangs der Otto von Wittelsbach-Folge Vermählung des Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach, Wirkerei in Wolle, Leinen, Seide, Silber- und Goldlahn über Wollkette, 409 × 291 cm, München (Werkstatt Hans van der Biest) 1609, Residenz München Inv.-Nr. BSV WA 8. (Abb. 16) gut zu sehen ist.

Abb. 16

Abb. 16: Detail aus der Tapisserie ‚Vermählung des Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach‘, Wirkerei in Wolle, Leinen, Seide, Silber- und Goldlahn über Wollkette, München (Werkstatt Hans van der Biest) 1609, Residenz München Inv.-Nr. BSV WA 8. (Rechte: Bayerische Schlösserverwaltung, Foto: Tanja Kohwagner-Nikolai)

Hier wurde die Inschrift AGNETEM THEODORICI COM(ITIS) WASSER=/​BVRGEN(SIS) FILIAM VXOREM DVCIT Alle Anfangsbuchstaben der ersten Zeile vergrößert. Zur Entstehungszeit war es gängige Meinung der Genealogen, dass es sich bei der Gemahlin von Otto I. um Agnes, die Tochter Dietrichs von Wasserburg handelte, tatsächlich war er mit Agnes von Loon, der Tochter Ludwigs I. von Loon-Rieneck († 1171) und dessen Ehefrau Agnes von Metz († 1175/​1180) verheiratet. in Kapitalis mit einem Goldfaden, bestehend aus vergoldetem Silberlahn um eine naturfarbene Seidenseele, gearbeitet. Bei den Monogrammen aus den verschränkten Buchstaben M und E für den Auftraggeber Maximilian von Bayern († 1651) und seine erste Gattin Elisabeth von Lothringen († 1665) wurde zusätzlich eine an Sumak Zur Veranschaulichung der Technik Youtube IjvL3SYne5k. erinnernde Technik (Abb. 17) eingesetzt, die eine Musterbildung innerhalb des Buchstabenkörpers erlaubt. Dabei wird der Goldfaden im Arbeitsprozess um bis zu vier Kettfäden gewickelt, weshalb diese Partien über der Wirkerei zu liegen oder nachträglich eingestickt scheinen, was jedoch nicht stimmt.

Abb. 17

Abb. 17: Detail aus der Tapisserie ‚Vermählung des Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach‘, Wirkerei in Wolle, Leinen, Seide, Silber- und Goldlahn über Wollkette, München (Werkstatt Hans van der Biest) 1609, Residenz München Inv.-Nr. BSV WA 8. (Rechte: Bayerische Schlösserverwaltung, Foto: Tanja Kohwagner-Nikolai)

Auch wenn ältere Lehrmeinungen Mittelalter-Lexikon (zuletzt aufgerufen am 14.09.2021). ein gegenteiliges Bild suggerieren, war Wirken keineswegs nur klösterliche Frauenarbeit. Objekte vor 1450 geben keinerlei Hinweise zur ausführenden Hand. Im Kontext eines verlorenen Wandteppichs aus Kloster Wessobrunn belegen zwei Handschriften, dass auf dem Textil Sibot Chennich de Hohemos inschriftlich erwähnt wurde. Er wird als Wirker des Wandteppichs und als Nachkomme des um 1150 urkundlich erwähnten Fridericus tapifex interpretiert. Eine Künstlersignatur wäre zu dieser Zeit höchst ungewöhnlich und für die Verwandtschaft gibt es keinen Beleg. Nichtsdestotrotz dokumentieren diese Quellen einen männlichen Teppichmacher namens Friedrich als Teil der Klosterfamilie von Herrenchiemsee. Auch die ›Monumenta Weihensteffanensia‹ erwähnen einen Aschwin Tapeciarius unter den Zeugen. Kohwagner-Nikolai (2019a) S. 139-150. Im Gegensatz zu den schriftlichen Quellen belegen beispielsweise Wirkereien aus dem Bamberger Dominikanerinnenkloster Zum Hl. Grab Antependium mit Anbetung der Heiligen Drei Könige, Wirkerei in Wolle, Leinen, Seide und Häutchensilber über Leinenkette, 90,2 × 201 cm, Bamberg um 1490/​1500, Bayerisches Nationalmuseum München Inv.-Nr. T 3803 (Durian-Ress (1986) S. 170-171) und Passionsteppich, Wirkerei in Wolle, Leinen und Seide über Leinenkette, 400 × 320 cm, Bamberg um 1490/​1500, Diözesanmuseum Bamberg Inv.-Nr. 3.2.0004; DIO 6 (Stadt Bamberg (Textilien)) Nr. 9., die Darstellungen von Nonnen am Wirkstuhl zeigen, die Herstellung im Konvent durch dort lebende Frauen (Abb. 18).

Abb. 18

Abb. 18: Detail aus der Bordüre des Passionsteppich, Wirkerei in Wolle, Leinen und Seide über Leinenkette, Bamberg (Dominikanerinnenkloster Zum Hl. Grab) um 1490/​1500, Diözesanmuseum Bamberg Inv.-Nr. 3.2.0004 (Rechte: Diözesanmuseum Bamberg, Foto: Ingeborg Limmer)

Anna Rapp Buri und Monica Stucky-Schürer postulieren für Wirkereien die Notwendigkeit einer langjährigen Berufsausbildung, die sie bei Klosterfrauen für unwahrscheinlich halten. Allerdings erwähnen sie eine einzige schriftliche Quelle: für Margaretha Bühler ist eine Lehrzeit von einem Jahr belegt. Daraus schlussfolgern sie aufgrund der Ausbildungszeiten des späten 20. Jahrhunderts rückwirkend, dass „mit diesem erwähnten einen Jahr noch nicht die ganze Lehre erfaßt war und diese sich auch im Mittelalter über mehrere Jahre erstreckt haben muß“ Rapp Buri/​Stucky-Schürer (1990) S. 47-51, bes. S. 49.. Eine Notiz in der Lüner Chronik Klosterarchiv Lüne, Hs 5 fol. 28r. weist mit den Worten Margareta de Werberghe […] diditit Sic! Wohl für didicit. nobis artem textendi super Latulis Corporalia, Amittas Sic! Wohl für Amictas. An dieser Stelle ist Ramona Baltolu, Christian Friedl und Christine Steininger (BAdW München) sehr herzlich für die Hilfe und Diskussion zu danken. et Stolas darauf hin, dass 1500 im Kloster Lüne eine neue Webtechnik gelehrt wurde. Auch wenn die Technik zur Herstellung von Korporalien ungewöhnlich erscheint, liegt es zusammen mit den erhaltenen Pelikanlaken aus Kloster Lüne Pelikan-Banklaken, Wirkerei in Wolle über Leinenkette, Kloster Lüne (?) 1500, mehrere Laken, je Motiv etwa 57 × 65 cm, Kloster Lüne Inv.-Nr. LÜN Ha 10a-f, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg Inv.-Nr. 1952,142, Museum für das Fürstentum Lüneburg Inv.-Nr. H.211, Kloster Medingen Inv.-Nr. MED Ha 006. Wolfson Michael, Banklaken mit Pelikanen, in: Krone und Schleier, Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern, Katalog zur Ausstellung im Ruhrlandmuseum Essen und der Kunst- und Ausstellungshalle der BRD Bonn, S. 527-528. durchaus nahe, dass die Wirkerei gemeint ist. Auch in den Quellen des Klosters Wienhausen wird fünf Jahre später erwähnt, dass Margaretha von Werbergen Hilfe bei der Unterweisung der Jungfrauen leistete. Chronik und Totenbuch des Klosters Wienhausen, bearb. v. Horst Appuhn. Wienhausen 1986, S. 41 und XXXVII (13. Jan.). Worin die Unterweisung bestand, muss offenbleiben, allerdings ist aus dieser Zeit ein Wirkteppich Wappenteppich der Katharina Remstede mit Einhorn, Wirkerei in Wolle, 168 × 91 cm, Niedersächsisch 1501, Kloster Wienhausen Inv.-Nr. Ha014. Appuhn (1961) S. 9-11. im Auftrag der Äbtissin Katharina Remstede († 1549) überliefert, der jedoch keine stilistische Nähe zu den erwähnten Pelikanlaken aufweist.

2.4 Geknüpfte Inschriften

Selten sind auch geknüpfte Inschriften aus dem Mittelalter überliefert. z. B. aus dem Grab Heinrichs IV., Domschatz im Historischen Museum der Pfalz Speyer Inv.-Nr. D 520; Des Kaisers letzte Kleider. Neue Forschungen zu den organischen Funden aus den Herrschergräbern im Dom zu Speyer. Katalog zur Ausstellung „Des Kaisers letzte Kleider – Rettung der organischen Funde aus den Kaiser- und Königsgräbern im Dom zu Speyer“ im Historischen Museum der Pfalz Speyer vom 10. April bis 30. Oktober 2011, hrsg. vom Historischen Museum der Pfalz Speyer. München 2011, S. 188-189. Bei Knüpfarbeiten bilden sich kreuzende Kett- und Schussfäden das Grundgewebe, das jedoch vom Flor der eingeknoteten, musterbildenden Fäden vollkommen verdeckt wird. Es gibt unterschiedliche Knotenvarianten, doch für die im deutschsprachigen Raum aus dem Mittelalter überlieferten Knüpfteppiche wurde in der Regel der sog. spanische Knoten verwendet, der im Gegensatz zu den bekannten Knotentypen nur um einen Kettfaden geschlungen ist.

Knüpfen

Knüpfen

Die kurzen, farbigen Wollfäden, die den Flor bilden, werden jeweils um einen der senkrecht gespannten Kettfäden geschlungen, wobei in der Knüpfreihe nur jeder zweite Kettfaden bearbeitet wird. Die anderen bleiben frei. Nach einem festigenden Schusseintrag in Leinwandbindung (zum Teil durch die Knüpfung zum Kettrips verschoben) wird in der nächsten Reihe versetzt geknüpft. Die überstehenden Fadenenden werden im Knüpfprozess geschnitten und nach Fertigstellung auf die gleiche Länge geschoren.

Als Beispiel dient hier das Fragment eines Knüpfteppichs Sog. Tugenden- und Philosophenteppich, Knüpfarbeit in Wolle über Hanfkette, 182 × 65 cm, Halberstadt (?), Mitte 12. Jahrhundert, Domschatz Halberstadt Inv.-Nr. 521; DI 75 (Halberstadt Dom) Nr. 13 und Pregla (2018) (zuletzt aufgerufen am 14.09.2021). aus dem Halberstädter Domschatz (Abb. 19). Die erhaltenen Buchstaben deuten – soweit sich durch den fragmentarischen Zustand Aussagen treffen lassen – zwei verschiedene Schrifthierarchien an, die sich auch in den Schriftarten minimal unterscheiden. Während die Buchstaben der horizontalen Schriftbänder in hellblauem Grund eine Kapitalis vertreten und mit TEMP(ER)[ANTIA] und X[ENOCRATES] Bellmann (1983) S. 390-391. die dargestellten Figuren benennen, spielt das Alphabet der geschwungenen Schriftbänder zwischen Romanischer und früher Gotischer Majuskel, wobei das unziale E und C noch offen sind. Bogenschwellung und aufgeblähte Bögen sind jedoch bereits ausgeprägt, ebenso die keilförmige Verbreiterung an Schaft- und Balkenenden hin zu dreieckigen Sporen. Die Flächigkeit der Buchstaben ist auffällig. Der Bogen des unzialen H endet im Schaftbereich weit über der Grundlinie. Bei A und V ist eine Linksschrägenverstärkung angedeutet. Die geschwungenen Schriftbänder scheinen beispielsweise mit TE(M)P(ER)ET · HIC · M[OREṢ] Unterbrochen vom Daumen der Figur, die das Schriftband hält. Die Ergänzung ergibt sich aus der Form des abgeriebenen Flors. · Ọ[...] Es könnte sich auch um ein Q handeln, wofür der leicht nach schräg rechts unten verlaufende Bogen sprechen könnte. eher Artikulationen der Figuren aufzugreifen. Die Schrägschäfte des X wirken geschwungen, doch ergibt sich die Form aufgrund der Technik. 14 Knoten legen auf der Grundlinie die Buchstabenbreite, 11 Knotenreihen die Höhe fest. Um mit einer Schaftdicke von mindestens zwei Knoten von den mit fünf Knoten angelegten Sporen in einer Diagonale exakt die Mitte der oberen Sporen zu erreichen, muss bei den versetzten Knotenreihen von der Gerade abgewichen werden. Für eine gerade Diagonale hätte das X viel breiter angelegt werden müssen, was die Ästhetik des Wortes gestört hätte. Der Technik geschuldet ist auch der Farbwechsel im Hintergrund des rot geknüpften TEMP(ER)[ANTIA]. Zwischen M und P(ER) endete ein Wollstrang. Der neue Wollstrang erscheint heute dunkler. Dies dürfte auf eine Abweichung im Färbeprozess zurückzuführen sein, die unter Lichteinfluss stärker zu Tage trat als vermutlich im Herstellungsprozess.

Abb. 19

Abb. 19: Das erhaltene Fragment des Tugenden- und Philosophenteppichs, Knüpfarbeit in Wolle über Hanfkette, Halberstadt (?) Mitte 12. Jahrhundert, Halberstadt Domschatz Inv.-Nr. 521 (Rechte: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Foto: Juraj Lipták)

Da bei diesen gewebebildenden Techniken erst im Arbeitsprozess ein Gewebe und damit auch die Inschrift entsteht, existiert keine direkte Vorzeichnung, sondern eine Entwurfszeichnung wird gemäß den technischen Besonderheiten vom Künstler oder Handwerker in das Medium Textil übersetzt. Diese Entwurfszeichnung muss für diesen Arbeitsschritt in einen Musterbrief oder eine Bindungspatrone mit den technischen Anweisungen übertragen werden. Während bei Stricken, Brettchenweben, Wirken und Knüpfen dem ausführenden Künstler viel Freiheit zur individuellen Gestaltung bleibt, hat ein Weber nach dem Einrichten des Webstuhls bei der eigentlichen Webarbeit – außer er greift händisch ein – kaum Gestaltungsmöglichkeiten.

3. Gewebe verzierende Techniken

Neben den aufgeführten gewebebildenden Herstellungsvarianten gibt es eine Vielzahl an Techniken, die Stoffe in einem zweiten Arbeitsgang zusätzlich ausschmücken, wobei die Gestaltungsmöglichkeiten nicht mehr an das rechtwinklige System von sich kreuzenden Kett- und Schussfäden gebunden und somit freier sind.

3.1 Gestickte Inschriften

Gemäß der Häufigkeit der erhaltenen Objekte sind die Stickereien an erster Stelle zu nennen. Stickerei wird stets auf ein Trägermaterial, das in einen Rahmen gespannt ist, mit Nadel, Häkchen oder Aale ausgeführt. Sie kann den Träger zieren oder völlig bedecken, seine Oberfläche und damit den Charakter und die Flexibilität verändern sowie die Struktur modifizieren. Zu betonen ist hier, dass hinsichtlich der verwendeten Materialien und der Sticktechnik keine Entwicklung vom Einfachen zur späteren Perfektionierung zu beobachten ist, obwohl modische Vorlieben zu verschiedenen Zeiten Trends bildeten. Einzig die Tendenz zu kostengünstigeren oder zeitsparenderen Ersatzmaterialien im Spätmittelalter ist auffallend, wenn statt Goldlahn (Abb. 20) nur vergoldeter Silberlahn oder Kantillen, statt Goldstickerei Pailletten oder Buntmetallapplikationen verwendet werden und Perlen nicht mehr dicht an dicht gesetzt, sondern mit größerem Abstand auf einer Leinenschnur angebracht werden. Kohwagner-Nikolai (2020b) S. 207-209.

Abb. 20

Abb. 20: Lichtmikroskopische Aufnahme eines originalen Goldfadens aus Goldlahn um eine Seidenseele, Probe K06 des blauen Kunigundenmantel, Bamberg Diözesanmuseum Inv.-Nr. 3.1.0001. (Rechte: Labor Drewello und Weißmann Bamberg, Foto: Ursula Drewello­ / Martina Pristl)

Mehr noch als für gewebebildende Techniken wird bei Stickereien in der Literatur das Bild der stickenden Klosterfrau gezeichnet. Dem ist mit Verweis auf die Quellen deutlich zu widersprechen. Beispielsweise bei den Übertragungen der Bamberger Kaisergewänder Zu den sechs Bamberger Kaisergewändern im Diözesanmuseum Bamberg: Kohwagner/​Drewello/​Ruß (2016) S. 48-53; Kohwagner-Nikolai (2020c)., deren Goldstickereien im Laufe des 15. Jahrhunderts aus ihren ursprünglichen Trägerstoffen ausgeschnitten und auf neue Seidengewebe appliziert wurden, sowie den zahlreichen Reparaturen dieser Reliquien ist zu beobachten, dass fast dreimal so viele Männer als Sticker und Schneider erwähnt sind als Frauen. Erst im 17. Jahrhundert werden hier Arbeiten explizit an Ordensfrauen übergeben. Kohwagner-Nikolai (2020c) S. 353. Es ist also davon auszugehen, dass sowohl Männer als auch Frauen stickten und neben Klosterwerkstätten auch weltliche Werkstätten existierten und in Heimarbeit Stickereien angefertigt wurden.

Aufgrund der Vielzahl der überlieferten Stickstiche soll hier nur eine Auswahl der häufigsten Stiche geboten und ihre Auswirkung auf die Buchstabengestaltung aufgezeigt werden. Die von Material und Entstehungszeit unabhängige Orientierung an der Technik wurde gewählt, da Stiche losgelöst vom verwendeten Material in den verschiedensten Medien unverändert bis in die Gegenwart ausgeführt werden können. Die Benennung von Stichen kann nach mehreren Gesichtspunkten erfolgen, so dass ein und derselbe Stich je nach Zeit und Region sowie nach verwendetem Träger- und Stickmaterial unterschiedliche Namen tragen kann und auch heute mehrere verschiedene Bezeichnung dieselbe Sticktechnik meinen können. Zur Benennung von Stichen werden das Aussehen des Stiches (z. B. Kreuzstich), das Motiv des Stichs (z. B. Sternstich), der Trägerstoff (z. B. Leinenstickerei), die Farbe der Stickerei (z. B. Weißstickerei), das Material der Stickerei (z. B. Wollstickerei), die vermutete geographische Herkunft (z. B. opus anglicanum), historische Personen (z. B. Holbeinstickerei), Epochen (z. B. Renaissancestickerei), der vermutete Arbeitsort (z. B. Klosterstich) oder das verwendete Werkzeug (z. B. Nadelmalerei oder Tambourstickerei) herangezogen. Die vollständige Darstellung aller Möglichkeiten ist hier weder angestrebt, noch in Anbetracht eines Überblicksartikels in der Gesamtfülle zu leisten.

Vorstich

Vorstich

Der Vorstich ist der einfachste Stich, der auch in der Handnäherei eingesetzt wird. Er besteht aus gleichmäßig in eine Richtung gestickten Stichen. Die Nadel wird am Ende der zu stickenden Linie durch den Träger zur Oberfläche geführt und nach einem bestimmten Abstand wieder nach unten, so dass sich bei einer Arbeitsrichtung auf der Rückseite zunächst das Negativbild ergibt. Bei einer Rückreihe bieten Vorder- und Rückseite das identische Bild.

(Youtube 9ZvMLGUYVwM)

Dieser Stich wird sehr häufig für lineare, schmale Schriften verwendet. Gerade in der mittelalterlichen Leinenstickerei wird er in dicht nebeneinander liegenden Reihen als musterbildender Flachstich eingesetzt, wie beim Leinentuch Leinentuch mit zwei Szenen aus dem Leben der hl. Magdalena, Stickerei in Leinen und Seide auf Leinen, 94 × 151 cm, Niedersachsen (Kloster Heiningen?) um 1240/​50, St. Sylvestri Wernigerode; Pregla (2009) S. 222-225. mit zwei Szenen aus dem Leben der hl. Magdalena. Hier sind nicht nur die Flächen der bildlichen Darstellungen, sondern auch die Flächen der umlaufenden Inschrift in Gotischer Majuskel in unzähligen Mustervariationen Zur Technikvielfalt siehe Grönwoldt (1964). gefüllt (Abb. 21), die auf der Rückseite als Negativ erscheinen.

Abb. 21

Abb. 21: Leinentuch mit zwei Szenen aus dem Leben der hl. Magdalena, Stickerei in Leinen und Seide auf Leinen, Niedersachsen (Kloster Heiningen?) um 1240/​50, St. Sylvestri Wernigerode. (Rechte: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Foto: Reinhard Ulbrich)

Besonders auffällig sind zwei Schreibfehler MVLCVM statt MVLTVM und ROA statt NON, die sich beide durch eine unklare Vorzeichnung erklären, die im Falle von Leinenstickerei in der Regel sehr blass und leicht entfernbar war. Spuren der Vorzeichnung sind noch erhalten. Daher ist davon auszugehen, dass beim wohl ursprünglich vorgezeichneten runden T der linke Teil des Deckbalkens bereits stark verblasst war, weshalb der Sticker, der die Buchstaben im Arbeitsprozess mutmaßlich kopfstehend sah und keinen Überblick über den gesamten Text hatte, ein C stickte. Während die erhaltenen Form des R zwar an ein missverstandenes rundes N denken lässt, dem der Sticker irrtümlich einen Balken hinzugefügt hat, ist diese Form eines N mit Zierstrich durchaus bekannt. Vgl. z. B. eine Glocke aus Meerbeck (jetzt in Frille in NRW; DI 104, Nr. 20). An dieser Stelle danke ich Katharina Kagerer (Göttingen) sehr herzlich für den Hinweis und die kollegiale Unterstützung. Nach dem O folgte in der Vorzeichnung wohl ein kapitales N, das der Sticker jedoch zu einem A umformte, da sonst in der Inschrift kein kapitales N vorkommt. Ein Wechsel von runder und eckiger Form bei dicht aufeinander folgenden Buchstaben ist jedoch in der Inschrift belegt: bei MARIE FERCVLIS folgt auf ein abgeschlossenes unziales E nach dem F die kapitale E-Form und bei DIMI(I)TTIS ist die erste T-Form rund, die zweite eckig ausgeführt. Bei DIM(I)TTIS dürfte auch das zweite I nicht ursprünglich gekürzt oder vergessen worden sein, sondern die Vorzeichnung – eventuell aufgrund von Abrieb – missverstanden worden sein: das erste I ist im Vergleich zu den übrigen in dieser Stickerei vorkommenden geraden I-Formen sehr breit geraten. Es folgt ein kapitales N, das mit dem folgenden geschwungenen I zu einem missglückten M wurde. Da die Vorzeichnung sicher als Umrisszeichnung angelegt war, liegt der Verdacht nahe, dass bei der Ausführung des I ein senkrechter Strich übersehen wurde und der Strich, der eigentlich den Beginn des M markierte, als rechte Außenkante des I interpretiert wurde. Dadurch fehlte ein Teil des M. Die wohl noch ansatzweise sichtbare Diagonale sowie die folgenden vier Senkrechten führten zum vorliegenden Erscheinungsbild, da vermutlich erkannt wurde, dass DINITTIS keinen Sinn ergäbe.

Stielstich

Stielstich

Auch der Stielstich ist ein Linienstich und wird von links nach rechts gestickt. Die Nadel wird am linken Ende der zu stickenden Linie zur Oberfläche geführt. Nach einem Stich wird der Faden auf der Unterseite etwa eine halbe Stichlänge zurückgeführt und tritt in der Regel links bzw. oberhalb des sichtbaren Stichs wieder an die Oberfläche. Dadurch ergibt sich auf der Vorderseite die Optik einer gedrehten bzw. gezwirnten Schnur, während auf der Rückseite in einer Reihe hinter einander liegende Stiche zu sehen sind. Wird beim Rückstich in den Faden eingestochen, erhält man einen Spaltstich, der auf der Vorderseite wie ineinander geschobene Vs aussieht. Wird parallel eine zweite Linie mit Stielstichen gearbeitet, bei der der Faden jeweils auf der anderen (außenliegenden) Seite austritt, ähnelt das Stickbild der Vorderseite einem Kettenstich, während die Rückseite zwei parallele Linien aufweist.

(Youtube BF1-E3qO6Jo)

Das berühmteste Beispiel für einen Stielstich in Wolle ist der Teppich von Bayeux Teppich von Bayeux, Wollstickerei auf Leinen, 45,7-53,6 × 6838 cm, Südengland um 1070, Centre Guillaume le Conquérant Bayeux. (Abb. 22), bei dem diese Technik die Linearität der Romanischen Majuskel unterstreicht.

Abb. 22

Abb. 22: Detail aus dem Teppich von Bayeux, Wollstickerei auf Leinen, Südengland um 1070. (Rechte: City of Bayeux, Centre Guillaume le Conquérant in Bayeux – Detail of the Bayeux Tapestry-11th Century)

Bei Bögen von links nach rechts weichen die Stichanfänge leicht von der gewünschten Linie ab, wodurch der Buchstabe in diesem Bereich etwas ausgefranst wirken kann, da der vorangehende Stich die Neigung hat, in das Bogeninnere zu rutschen.

Platt- oder Satinstich

Satinstich

Ein sehr häufiger Stich (Platt- oder Satinstich) wickelt den Trägerstoff ein. Dabei können die Stiche auf Vorder- und Rückseite diagonal (in unterschiedlichen Steigungsgraden), aber auch auf der Vorderseite gerade und auf der Rückseite schräg bzw. umgekehrt geführt werden. Dieser Stich wird auch für die sog. Nadelmalerei verwendet.

(Youtube FzAumfcqpWE)

Aufgrund der Flexibilität dieses Stichs ist auch das Erscheinungsbild dieser Stickerei sehr unterschiedlich. Auf der schwarzgrundigen Decke zum Totengedächtnis für Hieronymus Imhoff Decke zum Totengedächtnis für Hieronymus Imhoff, Seiden- und Metallstickerei auf schwarzem Wollköper, 195 × 138 cm, Nürnberg 1571-1574, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Inv.-Nr. Gew2491; Kohwagner-Nikolai (2016) S. 205-228. wurde im Bereich der Seidenstickerei für die Flächenfüllung der Buchstabenkörper (Abb. 23) diese Technik unabhängig von der Fadenrichtung des Grundstoffs eingesetzt, während die Kontur mit einer dünnen Kordel gelegt wurde. Parallel liegen die Stickfäden bei zwei Filetstickereien Filetstickerei in Leinen, 92 × 129 cm (Schulenburg), 81 × 103 cm (Saldern), Braunschweig 1590, Städtisches Museum Braunschweig Inv.-Nr. 11/​1/​168 und 11/​1/​169; DI 56 (Stadt Braunschweig II) Nr. 635. mit dem Wappen der Ilse von Saldern († 1607, Abb. 24) und dem ihres 1589 verstorbenen Gatten Fritz von der Schulenburg aus dem Jahr 1590.

Abb. 23

Abb. 23: Detail aus der Decke zum Totengedächtnis für Hieronymus Imhoff, Seiden- und Metallstickerei auf schwarzem Wollköper, Nürnberg 1571-1574, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Inv.-Nr. Gew2491. (Rechte: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Foto: Tanja Kohwagner-Nikolai)

Abb. 24

Abb. 24: Detail aus der Filetstickerei in Leinen, Braunschweig 1590, Städtisches Museum Braunschweig Inv.-Nr. 11/​1/​168. (Rechte: Städtisches Museum Braunschweig, Foto: Tanja Kohwagner-Nikolai)

Aufgrund der ebenfalls eingestickten Zuweisung in die Braunschweiger St. Johannis-Kapelle dürfte die Entstehung der Stickereien in unmittelbarem Zusammenhang mit der Errichtung eines früher dort befindlichen hölzernen Epitaphs DI 56 (Stadt Braunschweig II) Nr. 621† und DI 83 (Holzminden) Nr. 114. für die Eheleute und damit ebenfalls im Kontext des Totengedächtnisses für einen verstorbenen Ehemann stehen. Der Filetgrund bildet hier kleine Quadrate, in die dann der jeweils die horizontalen Fäden des Grundgewebes umwickelnde Stich eingearbeitet wurde. Dadurch ergibt sich eine Art „gepixelte Kapitalis“, deren Bögen und Schrägen getreppt wirken. Eine der bekanntesten Varianten dieses Stichs dürfte der für Petit Point-Arbeiten oder in der sog. Gobelinstickerei des 19. Jahrhunderts besonders beliebte sog. halbe Kreuzstich sein, wie er beispielsweise an einer Kasel aus der Münchner Residenz Kasel mit den Arma Christi, Seiden- und Metallstickerei auf Leinen, 104 × 72 cm, München 1620er Jahre, Residenz München Inv.-Nr. BSV ResMü T0030; Seelig, Lorenz, Kirchliche Schätze aus bayerischen Schlössern. Liturgische Gewänder und Geräte des 16.-19. Jahrhunderts mit einem Bestandsverzeichnis der kirchlichen Textilien der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen, Katalog zur Ausstellung in der Residenz München vom 28.6.-30.9.1984. Berlin 1984, S. 64-67. im Kreuztitulus zu beobachten ist. Aufgrund der ähnlichen Oberflächenstruktur kommt es oft zu einer Verwechslung mit Bildwirkereien. Inv RK 1786: Beschreibung der Reichen Kapelle in der Kurfürstlichen Residenz in München und deren in selber sich befündenden Praetiosen verfaßt im Jahre 1786, BSV.Inv0163.02, fol. 45v Nr. 9/​7; Inv RK 1807: Beschreibung der Schönen Residenzkapelle in München und deren in selber sich befindenden Praetiosen. Rev: im Jahre 1807, BSV.Inv0164.01, S. 117 sowie Inv ResHK 1814: Inventarium über die Kirchen-Meubles der königl. Residenz Hof-Kapelle in München 1814, BSV.Inv0172, S. 42 Nr. 7. Während sich bei dieser Sticktechnik die Fäden keinesfalls kreuzen, gibt es eine weitere Gruppe von Stichen, die sich durch Kreuzen der Stickfäden ergeben.

Kreuzstich

Kreuzstich

Der einfache Kreuzstich wird in zwei Arbeitsgängen ausgeführt. In der Hinreihe entstehen die Grundstiche wie oben erwähnt durch auf der Vorderseite diagonal, auf der Rückseite senkrecht geführte Stiche. In der Rückreihe werden die Deckstiche gegengleich gearbeitet, sodass sich die Fäden in der Mitte des Grundstichs kreuzen.

(Youtube MgY24u01V0A)

Der Kreuzstich verändert die Buchstabenform sehr stark, sodass die Einordnung der Schriftart schwerfällt. DI 56 (Stadt Braunschweig II) Nr. 893; DI 76 (Lüneburger Klöster) Nr. 235 und Nr. 294. Hier werden sehr ähnliche, wenn auch in geringfügigen Details abweichende Inschriften als (Gotische) Majuskel(n) oder Kapitalis bezeichnet. Eine Seidenstickerei auf Leinen aus der Braunschweiger Magnikirche Leinentuch, Seiden- und Metallstickerei auf Leinen, 96 × 90,5 cm, Braunschweig 1640, Städtisches Museum Braunschweig Inv.-Nr. 11/​1/​180 (alte Inv.-Nr. B 148, Tex 305); DI 56 (Stadt Braunschweig II) Nr. 893. (Abb. 25) nennt in der Mitte in sechs Zeilen die Namen HANS IVRGEN WARBOR LVSIIA HENKEL in Kreuzstich.

Abb. 25

Abb. 25: Detail aus einem Leinentuch, Seiden- und Metallstickerei auf Leinen, Braunschweig 1640, Städtisches Museum Braunschweig Inv.-Nr. 11/​1/​180. (Rechte: Städtisches Museum Braunschweig, Foto: Tanja Kohwagner-Nikolai)

Auffällig ist einerseits der hohe Anteil runder Formen wie das geschlossene E, das N und das doppelstöckige, unten offene A, die einer Kapitalis genauso zuwiderlaufen wie das I mit Nodus, das V mit ausgeprägten v-förmigen Sporen und das L mit einem keilförmigen Balken. Andererseits widerspricht das Fehlen von Flächigkeit und Bogenschwellung einer Zuordnung zur Gotischen Majuskel. Die Innenverkleidung eines Korporalienkästchens Innenauskleidung eines Korporalienkästchens, Stickerei auf Leinen, 3,6 × 20,7 × 18 cm, Lemgo 15. Jahrhundert (?), Lemgo Weserrenaissance-Museum Schloss Brake, Dauerleihgabe des Stifts St. Marien; DI 59 (Lemgo) Nr. 25. aus Lemgo (Abb. 26) weist ebenfalls eine Inschrift in Kreuzstich auf, die mit ähnlichen Buchstabenformen für E, I, L und N im Vergleich mit den erwähnten Beispielen Siehe Anm. 56. aus den 1640er Jahren auch an eine spätere Datierung denken lässt.

Abb. 26

Abb. 26: Innenauskleidung eines Korporalienkästchens, Stickerei auf Leinen, Lemgo 15. Jahrhundert (?), Lemgo Weserrenaissance-Museum Schloss Brake, Dauerleihgabe des Stifts St. Marien. (Rechte: Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und Künste, Arbeitsstelle Inschriften, CC BY-NC-SA 4.0)

Aus dem 15. Jahrhundert stammt eine Stickerei auf Leinen Leinentuch mit Seiden- und Goldstickerei auf Leinen, 58 × 85 cm, Stralsund (?) 15. Jahrhundert, Museum Stralsund Inv.-Nr. 1862:​0046; DI 102 (Stralsund) Nr. 118., die im Wechsel zwischen kleinformatigen Majuskelbuchstaben und größeren Buchstaben der Gotischen Minuskel die Möglichkeiten des Kreuzstichs demonstriert. Je kleiner die Stiche im Verhältnis zu Buchstabengröße gewählt werden, desto geringer sind Auswirkungen auf die Buchstabenform durch die Technik (Abb. 27).

Abb. 27a

Abb. 27a: Leinentuch mit Seiden- und Goldstickerei auf Leinen, Stralsund (?) 15. Jahrhundert, Museum Stralsund Inv.-Nr. 1862:0046. (Rechte: © STRALSUND MUSEUM)

Abb. 27b

Abb. 27b: Kreuzigung Christi mit Maria und Johannes, Detail aus dem Leinentuch mit Seiden- und Goldstickerei auf Leinen, Stralsund (?) 15. Jahrhundert, Museum Stralsund Inv.-Nr. 1862:0046. (Rechte: © STRALSUND MUSEUM)

Abb. 27c

Abb. 27c: Das Symbol des Evangelisten Johannes, Detail aus dem Leinentuch mit Seiden- und Goldstickerei auf Leinen, Stralsund (?) 15. Jahrhundert, Museum Stralsund Inv.-Nr. 1862:0046. (Rechte: © STRALSUND MUSEUM)

Abb. 27d

Abb. 27d: Das Symbol des Evangelisten Markus, Detail aus dem Leinentuch mit Seiden- und Goldstickerei auf Leinen, Stralsund (?) 15. Jahrhundert, Museum Stralsund Inv.-Nr. 1862:0046. (Rechte: © STRALSUND MUSEUM)

Neben dem einfachen Kreuzstich gibt es eine Vielzahl weiterer Techniken, die auf dem Prinzip sich kreuzender Fäden aufbauen. Im epigraphischen Bereich hat hier der Klosterstich große Bedeutung, da zahlreiche Bildteppiche, nicht nur aus Norddeutschland, auf diese Weise gearbeitet sind.

Klosterstich

Klosterstich

Der Stickfaden wird zunächst durch den Stoff an die Oberfläche geführt, wo ein langer Spannstich vom Sticker weg gearbeitet wird. In der Abwärtsbewegung wird dieser Spannstich mit Überfangstichen auf dem Träger fixiert. Auf der Rückseite wird jeweils nur kurz zurück gestochen, um mit dem nächsten Überfangstich fortzufahren. Das Muster wird dadurch gefüllt, dass Stich neben Stich gesetzt wird. Die Länge der Spannstiche (und damit die Anzahl der Überfangstiche) richtet sich nach den Grenzen der zu füllenden Fläche.

(Youtube ZeYh3Hs2ZDA)

Die Technik verleiht der Vorderseite eine große Dichte, während auf der Rückseite nur kleine Überfangstiche zu sehen sind. Ein Beispiel ist der Wienhäuser Prophetenteppich Prophetenteppich, Wollstickerei im Klosterstich auf Leinen, 238-243 × 142-158 cm, Kloster Wienhausen um 1300, Kloster Wienhausen Inv.-Nr. WIEN Ha004; Kohwagner-Nikolai (2006) S. 188-191. (Abb. 28), bei dem die umlaufenden Achtpässe und die Schriftbänder der Propheten jeweils Inschriften in Gotischer Majuskel tragen, bei der die Buchstaben regelmäßig zwischen Rot und Blau alternieren.

Abb. 28

Abb. 28: Prophetenteppich, Wollstickerei im Klosterstich auf Leinen, Kloster Wienhausen um 1300, Kloster Wienhausen Inv.-Nr. WIEN Ha004. (Rechte: Kloster Wienhausen)

Sabine Wehking DI 76 (Lüneburger Klöster) Nr. 23. verneint eine Verwandtschaft des Prophetenteppichs zum Tristanteppich II Tristanteppich II, Wollstickerei im Klosterstich auf Leinen, Fragment a: 136 × 84 cm, Fragment b: 138 × 77 cm, Kloster Wienhausen um 1300, Kloster Wienhausen Inv.-Nr. WIEN Ha002a-b; Kohwagner-Nikolai (2006) S. 192-197. (Abb. 29) und damit eine Datierung um 1300.

Abb. 29a Abb. 29b

Abb. 29a und b: Das linke und rechte Fragment des Tristanteppichs II, Wollstickerei im Klosterstich auf Leinen, Kloster Wienhausen um 1300, Kloster Wienhausen Inv.-Nr. WIEN Ha002a-b. (Rechte: Kloster Wienhausen)

Sie übersieht dabei, dass nicht nur das R mit langgestreckter Cauda vergleichbar, sondern auch die Ähnlichkeit von A, E und C an beiden Objekten gegeben ist: am Prophetenteppich finden sich – neben anderen Formen – die für den Tristanteppich II charakteristischen A mit oben zum Deckbalken spitz zulaufenden Schäften ebenso wie auf dem Tristanteppich II beispielsweise beim letzten A des obersten Schriftbandes (Fragment a) der Mittelbalken gerade gearbeitet, also keineswegs hier immer gebrochen ist. Auch die C und E auf dem Tristanteppich II sind nicht ausschließlich mit einfachen, geraden Abschlussstrichen versehen, sondern im zweiten Schriftband durchaus ebenfalls mit einem leicht gebogenen Strich abgeschlossen, während zum Beispiel im ersten und zweiten Achtpass am Prophetenteppich gerade Abschlussstriche vorkommen. Des Weiteren sind die Formen von D, rundem H und N sowie vor allem des F in beiden Behängen sehr ähnlich, während die Inschrift des Tristanteppichs III Tristanteppich III, Wollstickerei im Klosterstich auf Leinen, 251 × 386 cm, Kloster Wienhausen um 1300, Kloster Wienhausen Inv.-Nr. WIEN Ha003; Kohwagner-Nikolai (2006) S. 207-212, zur Gruppe S. 60-61 und S. 80-82. (Abb. 30) sehr viel gedrungener, weniger scharf in den Konturen, dafür mit ausgeprägterer Bogenschwellung gestaltet ist.

Abb. 30

Abb. 30: Tristanteppich III, Wollstickerei im Klosterstich auf Leinen, Kloster Wienhausen um 1300, Kloster Wienhausen Inv.-Nr. WIEN Ha003. (Rechte: Kloster Wienhausen)

Die Sporen weisen keine Dreiecks- oder Trapezform auf, sondern sind rundlicher. Auch sind häufig die kleinen Innenräume der Buchstaben, zum Beispiel bei A oder der Bogen des R gefüllt, während die Gestaltung bei der Gruppe Die Gruppe besteht neben dem Propheten- und dem Tristanteppich II aus dem Fürstenpaarelaken und einem Bordürenfragment. Fürstenpaarelaken, Wollstickerei im Klosterstich auf Leinen, 80 × 323 cm, Niedersachsen (Kloster Wienhausen?) um 1300, Hannover Museum August Kestner Inv.-Nr. WM XXII,18; Kohwagner-Nikolai (2006) S. 288-291; Bordürenfragment, Wollstickerei im Klosterstich auf Leinen, 22,7 × 141 cm, Kloster Wienhausen um 1300, Privatbesitz; Kohwagner-Nikolai (2006) S. 250-251. um den Prophetenteppich von großer Klarheit geprägt ist. Diese Gruppe schließt sich neben den erwähnten Schriftdetails durch die Gestaltung der Hände, Pflanzen und des Pelzbesatzes vor allem durch die Architekturelemente, eine breit angelegte Zinnenbekrönung schmaler Mauertürme, die Ausführung der Wappenreihen und der schmalen Zierbordüren zusammen. Die Klostersticharbeiten wurden je nach Größe von bis zu neun Stickerinnen arbeitsteilig hergestellt, sodass unter der individuellen Stickarbeit die Gemeinsamkeiten der Vorzeichnung erschlossen werden müssen. Die Behänge einer Gruppe wurden auch nicht zeitgleich, sondern nacheinander gestickt, sodass eine gewisse Entwicklung zu beobachten ist.

Der Annahme von Falk Eisermann Eisermann (1996) S. 227-277., dass bei den geschwungenen Schriftbändern des Sibyllenteppichs Sibyllenteppich, Wollstickerei im Klosterstich auf Leinen, 346 × 447 cm, Kloster Heiningen 1517, Moravská galerie Brno Inv.-N. 4614 und Victoria and Albert Museum London, Inv.-Nr. 8712-1863; Kohwagner-Nikolai (2006) S. 386-393. (Abb. 31) viele Buchstaben nur „in Vorstichen“ Eisermann (1996) S. 263. ausgeführt seien, ist aufgrund der Technik des Klosterstichs, der keine Vorstiche benötigt, zu widersprechen.

Abb. 31

Abb. 31: Detail aus dem Sibyllenteppich, Wollstickerei im Klosterstich auf Leinen, Kloster Heiningen 1517, Victoria and Albert Museum London Inv.-Nr.8712-1863. (Rechte: © Victoria and Albert Museum London)

Hier wurden die durch das Verschlingen der Schriftbänder optisch hinten liegenden Teile derselben mit einem dunkleren, gelben Hintergrund versehen. Das ursprüngliche Rot der Buchstaben verblasste teilweise im Laufe der Zeit und hebt sich heute nicht mehr so deutlich vom Hintergrund ab wie in den vorne liegenden, naturfarbenen Schriftbändern. Die Vorzeichnung dürfte bei allen Klostersticharbeiten ähnlich wie beim Ernst von Schwaben-Teppich Ernst von Schwaben-Teppich, Wollstickerei im Klosterstich auf Leinen, 68 × 260 cm, Niedersachsen (Kloster Wienhausen?) um 1300, Städtisches Museum Braunschweig Inv.-Nr. 11/​1/​143; Kohwagner-Nikolai (2006) S. 266-272. (Abb. 32) ausgesehen haben, dessen Stickerei stark beschädigt ist. Sowohl die bildlichen Darstellungen als auch die Schriften sind in schwarzen, glatt konturierten Linien wohl mit dem Pinsel und Eisengallustinte vorgezeichnet, der eventuell Wasser entzogen oder eine Substanz zur Verdickung beigefügt worden ist.

Abb. 32

Abb. 32: Detail aus dem Ernst von Schwaben-Teppich, Wollstickerei im Klosterstich auf Leinen, Niedersachsen (Kloster Wienhausen?) um 1300, Städtisches Museum Braunschweig Inv.-Nr. 11/​1/​143. (Rechte: Städtisches Museum Braunschweig, Foto: Tanja Kohwagner-Nikolai)

Auf Seide konnte beispielsweise beim blauen Kunigundenmantel Blauer Kunigundenmantel, Goldstickerei in Anlegetechnik auf Samit, Höhe 160 cm, Herrschaftsgebiet Heinrichs II. um 1014, Diözesanmuseum Bamberg Inv.-Nr. 3.1.0001; Kohwagner-Nikolai (2020c) S. 62-107. (Abb. 33) eine Vorzeichnung aus Knochenweiß (Knochenasche) und dem Bindemittel Protein (Abb. 34) nachgewiesen werden. Letzteres diente der Herstellung einer streichfähigen oder malbaren Rezeptur, die als Vorzeichnungskreide oder ‑farbe geeignet war. Kohwagner-Nikolai/​Drewello/​Ruß (2016) S. 51; Kohwagner-Nikolai (2020c) S. 80-81.

Abb. 33

Abb. 33: Der blaue Kunigundenmantel, Goldstickerei in Anlegetechnik auf blauem Seidengewebe (Samit), Herrschaftsgebiet Kaiser Heinrichs II. um 1014, Diözesanmuseum Bamberg Inv.-Nr. 3.1.0001 (Rechte: Diözesanmuseum Bamberg, Foto: Uwe Gaasch)

Abb. 34

Abb. 34: Zwischen den Fäden des originalen Trägergewebes sind Partikel der Vorzeichnung ‚verklebt‘. Lichtmikroskopische Aufnahme im polarisierten Licht, darüber ein loser Vorzeichnungspartikel, Probe K11. (Rechte: Labor Drewello und Weißmann Bamberg, Foto: Ursula Drewello)

Der blaue Kunigundenmantel dient auch als Beispiel für die Goldstickerei in Anlegetechnik. Während bislang nur Sticktechniken vorgestellt wurden, bei denen der Trägerstoff mit einem Faden bearbeitet wurde, wird in dieser Technik mit zwei verschiedenen Fäden gestickt.

Anlegetechnik

Anlegetechnik

Bei der Anlegetechnik wird ein Faden auf der Oberfläche des Trägers in beliebiger Länge geführt, der mit einem zweiten Faden mithilfe kleiner Überfangstiche auf dem Grund fixiert wird. Zur Flächenfüllung wird der erste Faden in eng nebeneinander liegenden Reihen gelegt. Durch die Richtung, Dichte und Farbigkeit der Überfangfäden können Muster erzeugt werden.

Der blaue Kunigundenmantel erfuhr im Laufe der Jahrhunderte vielfältige Reparaturen und zum Teil tiefgreifende Veränderungen. Die wohl umfassendste Maßnahme fand in der Zeit zwischen 1437 und 1441 Archiv des Erzbistums Bamberg, Rep. I Nr. 241a (Domkustoreirechnungen 1436/​1437-1441/​1442). statt, als sukzessive alle Goldstickereien aus dem originalen Gewand ausgeschnitten und auf einen neuen Damast appliziert wurden. Innerhalb der Inschriften sind bei dieser Übertragung keinerlei inhaltliche Erneuerungen oder Ergänzungen vorgenommen worden. Nur häufig vorkommende Buchstaben wie beispielsweise P wurden innerhalb einer Medaillonumschrift miteinander vertauscht oder horizontal symmetrische Buchstaben wie H oder O kopfstehend, also um 180° gedreht montiert. Das lässt sich anhand der Kettfadenrichtung des unter der Stickerei erhaltenen originalen Trägerstoffs feststellen. Dennoch kam es zu Veränderungen: vier im originalen Verbund verbliebene Inschriften visualisieren diese sehr deutlich (Abb. 35).

Abb. 35

Abb. 35: Detail aus dem blauen Kunigundenmantel, Goldstickerei in Anlegetechnik auf blauem Seidengewebe (Samit), Herrschaftsgebiet Kaiser Heinrichs II. um 1014, Diözesanmuseum Bamberg Inv.-Nr. 3.1.0001. (Rechte: Diözesanmuseum Bamberg, Foto: Uwe Gaasch)

Wie alles andere sind – bis auf die eben erwähnten vier Umschriften – sonst alle Buchstaben knappkantig ausgeschnitten und auf den neuen Träger appliziert worden. Dabei wurden auch fremd erscheinende Buchstabenformen dem Zeitgeschmack des 15. Jahrhunderts angepasst und einfach gekappt. Dies belegt der Vergleich eines im Originalzusammenhang erhaltenen F mit Fußstrich Die Vergleichsbeispiele zu dieser Buchstabenform im epigraphischen Kontext sind nördlich der Alpen äußerst selten. Zu diesen Beispielen: Bartusch (2015/​2016) S. 1-24, bes. S. 8 sowie 21-22. An dieser Stelle ist Ilas Bartusch (Heidelberg) sehr herzlich für den kollegialen Austausch und seine Hilfe zu danken. (z. B. bei FVLGEBIT) mit den ausgeschnittenen F, denen dieser Fußstrich fehlt. Im Zuge der Übertragung wurden alle ausgeschnittenen Buchstaben mit einem roten Faden konturiert auf dem neuen Träger festgenäht, der die ursprünglich sehr filigran wirkenden Buchstaben merklich veränderte. Die Verfremdung der Sporen von kleinen rechteckigen Blöcken zu dominanten Dreiecken ist besonders auffällig (Abb. 36).

Abb. 36

Abb. 36: Buchstabendetails aus dem blauen Kunigundenmantel, Goldstickerei in Anlegetechnik auf blauem Seidengewebe (Samit), Herrschaftsgebiet Kaiser Heinrichs II. um 1014, Diözesanmuseum Bamberg Inv.-Nr. 3.1.0001. Oben: Inschrift im originalen Verbund. Unten: Buchstaben nach der Übertragung des 15. Jahrhunderts auf einen neuen Trägerstoff appliziert und mit roter Seide konturiert. (Rechte: Bayerische Akademie der Wissenschaften – Inschriftenprojekt, Fotos: Uwe Gaasch)

Dass es sich dabei um bewusste Modernisierungstendenzen handelt, ist eher unwahrscheinlich, denn insgesamt war die Übertragung beim blauen Kunigundenmantel wohl aufgrund seines Reliquiencharakters sehr exakt und bestandserhaltend. Die Veränderungen bei den Buchstaben liegt schlicht an der Arbeitsweise mit dem roten Konturfaden. Es ist einfacher, einen Faden diagonal zu spannen, als noch einmal einen zusätzlichen Zwischenstich zu setzen. Diese Zeitersparnis darf bei ungefähr tausend Buchstaben, die einzeln übertragen wurden, nicht unterschätzt werden.

Auch die Perlstickerei des Spätmittelalters wird im Kontext von Schriften in Anlegetechnik ausgeführt. Die Perlen werden dazu zunächst auf eine Schnur gefädelt, die dann wie bei der eben erwähnten Goldstickerei mit einem zweiten Faden immer zwischen den Perlen auf dem Träger befestigt wird. Wie beim Eichstätter Rationale Rationale des Eichstätter Bischofs Johann III. von Eych († 1464), Metall- und Perlstickerei auf Seide, um 1460, Domschatz- und Diözesanmuseum Eichstätt, Inv.-Nr. DK15. (Abb. 37) wurden in der Regel im Spätmittelalter noch aus Leinen ausgeschnittene Buchstaben oder Leinenschnüre unter der Perlenschnur auf dem Trägergewebe unterlegt, um die Perlen zu betonen und Material zu sparen.

Abb. 37

Abb. 37: Detail aus dem Rationale des Eichstätter Bischofs Johann III. von Eych († 1464), Metall- und Perlstickerei auf Seide, Süddeutschland um 1460, Domschatz- und Diözesanmuseum Eichstätt. (Rechte: Bayerische Akademie der Wissenschaften – Inschriftenprojekt, Foto: Julia Knorr)

Häufig sind die Perlen im Laufe der Jahrhunderte abgerieben und verloren gegangen. Dann zeugen wie beim Eichstätter Rationale nur mehr die Überfangstiche vom ursprünglichen Reichtum. Die Kontur der Buchstaben wurde mit einem doppelten Metallfaden und roten Überfang- oder Haltefäden in Anlegetechnik ausgeführt. Ebenfalls auf der bereits erwähnten schwarzgrundigen Decke zum Totengedächtnis für Hieronymus Imhoff Decke zum Totengedächtnis für Hieronymus Imhoff, Seiden- und Metallstickerei auf schwarzem Wollköper, 195 × 138 cm, Nürnberg 1571-1574, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Inv.-Nr. Gew2491; Kohwagner-Nikolai (2016) S. 205-228. wurde im Bereich der Metallstickerei (Abb. 38) die Kontur in Anlegetechnik ausgeführt, wobei eine Kordel aus zwei Metallfäden verwendet wurde.

Abb. 38

Abb. 38: Detail aus der Decke zum Totengedächtnis für Hieronymus Imhoff, Seiden- und Metallstickerei auf schwarzem Wollköper, Nürnberg 1571-1574, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Inv.-Nr. Gew2491 (Rechte: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Foto: Tanja Kohwagner-Nikolai)

Für die Flächenfüllung der Buchstabenkörper wurden allerdings Kantillen mit einem Seidenfaden auf dem Träger fixiert. Dabei läuft der Seidenfaden auf der Vorderseite durch den Hohlgang der Kantille. Er vollzieht eine Bewegung wie beim Flach- oder Plattstich. Für den dreidimensionalen Effekt einer Wölbung des Buchstabenkörpers wurde während des Stickens textiles Füllmaterial unter die Kantillen geschoben. Unter und neben den Buchstaben lassen sich hier auf dem schwarzen Wollköper Linien und vor allem feine Farbpünktchen erkennen, wie sie entstehen, wenn man ein Model mit pastoser Farbe kräftig auf die Unterlage presst. Vergleichbare Flecken ergeben sich nicht, wenn die Vorzeichnung mit Stift, Kreide oder Pinsel aufgetragen würde.

Neben der beschriebenen Anlegetechnik, bei der der anzulegende Faden immer auf der Vorderseite des Trägergewebes bleibt, gibt es auch eine Technik mit „versenktem“ Goldfaden.

Anlegetechnik mit versenktem Goldfaden

Goldfaden

Zunächst muss der Goldfaden auf der Rückseite gesichert und durch den Trägerstoff auf die Vorderseite gebracht werden. Dies gilt auch für den Überfang- oder Haltefaden, der dann über den Goldfaden gelegt und an der Austrittstelle wieder zurück auf die Rückseite geführt wird. Mit Zug auf dem Haltefaden wird nun der Goldfaden durch den Trägerstoff auf die Rückseite gezogen.

Diese Sticktechnik hatte ihre Blütezeit im 13. und 14. Jahrhundert und ist typisch für byzantinische und sizilianische Goldstickereien der Zeit sowie für englische Arbeiten, weshalb die Technik in der Regel opus anglicanum genannt wird. In dieser Technik sind sowohl die szenischen Darstellungen als auch die Inschriften der Seligenthaler Mitra Seligenthaler Mitra, Stickerei in Goldlahn und farbiger Seide in Anlegetechnik mit versenktem Goldfaden (opus anglicanum) auf Samit, Höhe 17,3 cm, England 1180-1220, Bayerisches Nationalmuseum München Inv.-Nr. T 17. (Abb. 39) gestickt.

Abb. 39

Abb. 39: Seligenthaler Mitra, Stickerei in Goldlahn und farbiger Seide in Anlegetechnik mit versenktem Goldfaden (opus anglicanum) auf Samit, England um 1180, Bayerisches Nationalmuseum München Inv.-Nr. T 17. (Rechte: Bayerisches Nationalmuseum München, Foto: Bastian Krack)

Alle Buchstaben besitzen ausgeprägte Sporen, E, F und S sind durch die Abschlussstriche fast geschlossen. Die Buchstaben M und E sind kapital. Das flachgedeckte A besitzt links einen deutlich nach unten verlängerten Schaft und hat dadurch eine Tendenz zur pseudounzialen Form. Die beiden vorkommenden T sind rund, der Deckbalken ist geschwungen und aufgrund der Technik der Stickerei zeitsparend nicht einzeln über dem Schaft angesetzt, sondern 7-artig gestaltet, indem der Schaft vom rechten Ende des Balkens ausgeht. Dass der Goldfaden beim T stets parallel zum Balken angelegt ist, unterstützt diese These der technikbedingten Buchstabengestaltung. Die Bogenschwellung ist nicht besonders deutlich ausgeführt, die Flächigkeit der Buchstaben nur technikbedingt angedeutet, sodass sich hier ebenfalls eine Schriftart am Übergang von Romanischer zur Gotischer Majuskel zeigt, wobei der überwiegende Anteil der Elemente noch der älteren Form zugehörig ist. Für eine Datierung in die 1220er Jahre Blöcher (2012) S. 334. wirkt die Schrift der Seligenthaler Mitra im Vergleich mit anderen textilen Inschriften, die bereits in den letzten beiden Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts einen Übergang zur Gotischen Majuskel vollzogen haben, mit ihrem großen Anteil romanischer Merkmale eher konservativ. Inwieweit die Schrift bei einer Spätdatierung als bewusster Rückgriff auf die Zeit der Ermordung Thomas Beckets († 1170) zu werten ist, um die enge Verbindung zwischen dem Erzbischof von Canterbury, Stephen Langton († 1228) und seinem Amtsvorgänger Becket zu visualisieren oder inwieweit es sich hier um ein zeitbedingtes Nebeneinander progressiver oder konservativer Schriftformen handelt, ist zu diskutieren. Der retrospektive Gedankengang scheint allerdings für das 13. Jahrhundert zu modern, wobei er genau die mediale Funktion der Mitrengruppe und das programmatische Auftreten Langtons im Kontext des Investiturstreits unterstreichen würde. Zur Einordnung der Schrift und der Textilgruppe vgl. DI 109 (Landshut) Nr. 1. Vogt (2016) S. 19-20. An dieser Stelle ist Caroline Vogt (Riggisberg) sehr herzlich für den intensiven kollegialen Austausch zu danken. Letzteres gilt jedoch auch für ein Medium zur Etablierung des Kults für einen neuen Heiligen in den 1180er Jahren, weshalb ich auch in Anbetracht der ikonographischen Entwicklung für eine Frühdatierung plädiere. Um diese Frage genauer beantworten zu können, bedarf es weiterer Untersuchungen der Sticktechnik, in der die Flächigkeit der Buchstaben leichter auszuführen wäre, als das lineare Erscheinungsbild einer Romanischen Majuskel, aber auch weiterer epigraphischer Schriften aus dem französischen oder englischen Raum in anderen Materialien, um (regionale) Vorlieben bzw. technische Grenzen zu berücksichtigen.

Wie gewinnbringend solche Spezialuntersuchungen sein können, zeigt ein Vergleich des Sternenmantels Sternenmantel Heinrichs II., Goldstickerei in Anlegetechnik auf Samit, Höhe 142,5 cm, Herrschaftsgebiet Heinrichs II. 1014-1020, Diözesanmuseum Bamberg Inv.-Nr. 3.3.0001. Heinrichs II. (Abb. 40) und der Ewaldi-Decke Decke aus dem Schrein der heiligen Ewalde, Seiden- und Metallstickerei auf Seide, Stickerei in verschiedenen Stichen mit Seidenzwirn und vergoldeten Lederriemchen auf Leinen, Annusseite 94 × 83 cm, Köln (?) 2. Hälfte 10. Jahrhundert, Schatz von St. Kunibert Köln. An dieser Stelle ist Ulrike Reichert (Köln) für die Übersendung der Konservierungsdokumentation und die kollegiale Unterstützung zu danken. Außerdem danke ich Anna Pawlik (Köln) herzlich für die Möglichkeit, das Objekt vor Ort untersuchen zu können. Zur Ewaldi-Decke zuletzt Stauffer (2016) S. 33-52..

Abb. 40

Abb. 40: Der Sternenmantel, Goldstickerei in Anlegetechnik auf dunkelblauem Seidengewebe (Samit), Herrschaftsgebiet Kaiser Heinrichs II. 1014-1020, Diözesanmuseum Bamberg Inv.- Nr. 3.3.0001. (Rechte: Diözesanmuseum Bamberg, Foto: Uwe Gaasch)

Ein Großteil der Buchstaben aus der Saumumschrift des Sternenmantels zeigt entgegen der Meinung von Stauffer enge Verbindungen zur sog. Annus-Seite der Ewaldi-Decke (Abb. 41).

Abb. 41

Abb. 41: Die Annus-Seite der Decke aus dem Schrein der heiligen Ewalde, Seiden- und Metallstickerei auf Seide, Köln (?) 2. Hälfte 10. Jahrhundert, Schatz von St. Kunibert Köln. (Rechte: Kunstdenkmalpflege Erzbistum Köln, Foto: Tanja Kohwagner-Nikolai)

Diese Stickerei wird in die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts Wilckens (1985) S. 62. oder nach neuesten Untersuchungen sogar ins 9. Jahrhundert Stauffer (2016) S. 48-49. datiert. Zunächst wirken die Buchstaben der beiden Objekte aufgrund ihrer unterschiedlichen Sticktechniken (Goldstickerei in Anlegetechnik und Seidenstickerei) sehr verschieden, auch sind die Buchstaben des Sternenmantels im Durchschnitt ein bis zwei Zentimeter größer, doch bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass sie auf einer gemeinsamen Stickvorlage basieren. Der Grad der Verwandtschaft dieser beiden Zierschriften ist weit höher, als er sich durch die unabhängige Kenntnis der Reichenauer oder St. Gallener Buchmalerei erklären lassen würde. Kohwagner-Nikolai (2014) S. 148-149. Beispielsweise sei hier nur ein Buchstabe herausgegriffen: Das A von CESAR (Abb. 42a) zeigt – auch wenn der Deckbalken beim Sternenmantel verkürzt ist – im Vergleich zum ersten A des Wortes LABORATV(M) der Ewaldi-Decke (Abb. 42b) das Tierköpfchen an derselben Stelle, denselben Schwung der Ranke, die Punktverzierung im Schaft, den Durchtritt der Ranke an der vergleichbaren Stelle durch den Schaft sowie vergleichbare Positionen der Dreipassblüten.

Abb. 42a Abb. 42b

a: Das A aus CESAR, Detail aus der Saumumschrift des Sternenmantels, Goldstickerei in Anlegetechnik auf dunkelblauem Seidengewebe (Samit), Herrschaftsgebiet Kaiser Heinrichs II. 1014-1020, Diözesanmuseum Bamberg Inv.-Nr. 3.3.0001. (Rechte: Diözesanmuseum Bamberg, Foto: Uwe Gaasch)

Abb. 42b: Das erste A aus LABORATVM, Detail aus der Umschrift der Annus-Seite der Decke aus dem Schrein der heiligen Ewalde, Seiden- und Metallstickerei auf Seide, Köln (?) 2. Hälfte 10. Jahrhundert, Schatz von St. Kunibert Köln. (Rechte: Kunstdenkmalpflege Erzbistum Köln, Foto: Tanja Kohwagner-Nikolai)

Analysiert man die einzelnen Buchstaben der Saumumschrift, so fällt auf, dass der überwiegende Teil eng verwandte Buchstaben in der Ewaldi-Decke findet bzw. sich aus diesem Formenrepertoire herleiten lässt. Bei ähnlich nah verwandten Inschriften geht die Inschriftenpaläographie eigentlich von einem Werkstattzusammenhang aus, doch bei textilen Inschriften ist zu bedenken, dass Vorlagen transportabel waren und über einen längeren Zeitraum genutzt worden sein können.

3.2 Genähte Inschriften

Der Übergang von gestickten zu genähten Inschriften ist fließend. Der maßgebliche Unterschied ist, dass bei genähten Inschriften die Stiche nicht nur eine zierende Funktion haben, sondern auch mindestens zwei Stofflagen wie eine Naht verbinden. In der Regel wird beim Nähen ohne Rahmen gearbeitet, weshalb solche Textilien heute oft verzogen wirken. Dies kann beispielsweise aufgrund unterschiedlicher Spannungen der verschiedenen Gewebe passieren. Die arbeitsteilige Herstellung erfolgt zudem meist nicht – wie bei Stickereien und Wirkereien möglich – an einem Stück, sondern jeder arbeitet sein Textilstück. Die Einzelteile werden dann in einem nächsten Arbeitsgang zusammengeführt wie bei einer Quiltdecke mit Szenen aus der Tristanlegende Bettdecke mit 14 Szenen aus der Tristanlegende, doppeltes Leinen gesteppt und mit Baumwollwatte gepolstert, Stiche aus braunem und weißem Leinenfaden, 320 cm × 287 cm, Sizilien um 1395, Victoria and Albert Museum London Inv.-Nr. 1391-1904. Ergebnisse stammen aus dem Konservierungsbericht von Lynda Hillyer 2007.. Hier finden sich gesteppte Inschriften in Gotischer Majuskel. Bei dieser Form des Quiltens wird die Kontur der Buchstaben mit Steppstichen in braunem Leinengarn genäht und die Buchstabenflächen durch Unterfütterung mit textiler Füllung zwischen den beiden Leinenge nach oben gedrückt, während der umgebende Hintergrund die beiden Leinenstoffe mit dicht gesetzten Stichen aus weißem Leinengarn verbindet. Die Nahtlinien erzeugen einen leicht gewellten Effekt, möglicherweise aufgrund des Überschusses an Stoff um die gesteppten Bereiche. In der Szene mit Morold und einem Herold, der den Fehdehandschuh hält, während er in die Fanfare bläst, werden die Besonderheiten der Beischrift COMU : LU AMOROLDU FABANDIRI : LU OSTI : I(N) CORNUUALGIA deutlich (Abb. 43): die Bogenschwellungen sowie die trapezförmigen Enden der Balken und Schäfte treten oft viel prägnanter hervor als schmale Schäfte oder ausschwingende Hasten, da Erstere mehr Fläche für die Unterfüllung bieten.

Abb. 43

Abb. 43: Detail der Decke mit 14 Szenen aus der Tristanlegende, doppeltes Leinen gesteppt und mit Baumwollwatte gepolstert, Stiche aus braunem und weißem Leinenfaden, Sizilien um 1395, Victoria and Albert Museum London Inv.-Nr. 1391-1904. (Rechte: © Victoria and Albert Museum London)

Zum Teil kommt es zu einer nur durch ein paar Stiche getrennten Verschmelzung von Deck- und Mittelbalken wie bei F. Zum Teil gehen ausschwingende Hasten verloren, wie beispielsweise bei U, das so oft einem L ähnelt. Der dreieckige Balken des L schließt jedoch direkt an den Schaft an. Bei U findet sich nach dem Schaft noch ein gerades Verbindungselement zum rechten Bogen. Der Verlust kann sowohl im Arbeitsprozess durch abgeriebene oder missverstandene Vorzeichnung als auch im Laufe der Jahrhunderte durch Verlust der Naht und Reparatur entstanden sein. Auffällig sind auch die Buchstabenverbindungen mit A als erstem Buchstaben, hier AB, AN und AL.

Eine andere Art genähter Inschriften sind applizierte Inschriften, also Buchstaben, die aus einem Stoff ausgeschnitten wurden und auf einem Trägerstoff festgenäht sind. Beim Wurzel-Jesse-Teppich Wurzel-Jesse-Teppich, farbige Tuchapplikationen auf Wolltuch mit Leinenfutter, Stiche in Seide, vergoldete Lederriemchen in Anlegetechnik, 289 × 221 cm, Niedersachsen, Ende 14. Jahrhundert, Herzog Anton Ulrich Museum Braunschweig Inv.-Nr. MA318. (Abb. 44) sind die Buchstaben der Gotischen Minuskel in der Regel im Ganzen aus naturfarbenem Wollstoff, die Worttrenner aus rotem Wollstoff ausgeschnitten.

Abb. 44

Abb. 44: Detail aus dem Wurzel-Jesse-Teppich, farbige Tuchapplikationen auf Wolltuch mit Leinenfutter, Stiche in Seide, vergoldete Lederriemchen in Anlegetechnik, Niedersachsen, Ende 14. Jahrhundert, Herzog Anton Ulrich Museum Braunschweig Inv.-Nr. MA318. (Rechte: Herzog Anton Ulrich Museum Braunschweig, Kunstmuseum des Landes Niedersachsen, Foto: Museum ma_318_0002+)

Die Fahne des r kann auch als einzelnes Quadrat angesetzt werden. Die Buchstaben sind mit vergoldeten Lederriemchen konturiert, die in Anlegetechnik durch alle Stofflagen fixiert wurden. Auch die Zierstriche sind in dieser Technik ausgeführt, zum Beispiel der Rechtsschrägschaft des x. Eine andere Variante des Applizierens zeigt das Wichmannsburger Antependium Wichmannsburger bzw. Medinger Antependium, Seiden-, Metall- und Reliefstickerei, Applikationen aus Leinen, Pergament (bemalt und beschrieben), Baumwolle, Samt und Seide, 86 × 246,5-252,5 cm, Kloster Medingen 1479-1500, Museum August Kestner Hannover Inv.-Nr. WM XXII,8; Lähnemann (2005) S. 19-46 und DI 76 (Lüneburger Klöster) Nr. 62. (Abb. 45).

Abb. 45

Abb. 45: Detail aus dem Wichmannsburger bzw. Medinger Antependium, Seiden-, Metall- und Reliefstickerei, Applikationen aus Leinen, Pergament (bemalt und beschrieben), Baumwolle, Samt und Seide, Kloster Medingen 1479-1500, Inv.-Nr. WM XXII,8. (Rechte: Museum August Kestner Hannover).

Hier wurden für die untere Zone Schriftbänder aus Pergament und für den Hauptfries, dem vom zentralen Kreuz ausgehenden Rankenwerk, Schriftbänder aus naturfarbenem Leinen ausgeschnitten, auf den Träger appliziert und in Anlegetechnik konturiert. Alle Inschriften sind auf diese Schriftbänder mit schwarzer Tinte geschrieben. Für die Versalien wurde rote Tinte verwendet. Sowohl die Schrift als auch der Inhalt weisen enge Bezüge zu den Medinger Handschriften auf und legen eine Zusammenarbeit von Schreib- und Textilwerkstatt nahe.

3.3 Gemalte Inschriften

Mit dem Pinsel sind beispielsweise – wie die deutlich erkennbaren Pinselhaarstriche vor allem am Ende von Caudae zeigen – die Inschriften der Bamberger Fürhangtücher DIO 6 (Stadt Bamberg (Textilien)) Nr. 13, 16, 18 und 19. ölharz-gebunden ohne Grundierung auf braunem Leinengrund gemalt, um die Flexibilität des Gewebes und damit die Funktionalität als Rolltuch zu wahren. Die Nutzung führt zu einer Schädigung durch Abrieb oder Abplatzen der Farbpartikel. Dies wird besonders am Fürhangtuch der Rotgerberzunft Fürhangtuch der Rotgerberzunft, ölharz-gebundene Malerei auf Leinen, 308 × 300 cm (oben 336 cm), Bamberg 1616, Historisches Museum Bamberg Inv.-Nr. HVB Rep. 21, Nr. 510; DIO 6 (Stadt Bamberg (Textilien)) Nr. 18. (Abb. 46) deutlich: zwar ergeben sich durch die Fischgrat-Köperbindung des Trägerstoffes längere Leinenfäden als Haftgrund für die Malerei, als dies bei einer Leinwandbindung der Fall wäre; aber durch das häufige Aus- und Einrollen sowie die Nutzung unter freiem Himmel haben die Inschriften stark gelitten.

Abb. 46

Abb. 46: Fürhangtuch der Rotgerberzunft, ölharz-gebundene Malerei auf Leinen, Bamberg 1616, Historisches Museum Bamberg Inv.-Nr. HVB Rep. 21, Nr. 510. (Rechte: © Museen der Stadt Bamberg, Bestand Historischer Verein Bamberg)

Abb. 46a Abb. 46b

Abb. 46a: und 46b Der Name Hanß Krumbholtz, Detail aus dem Fürhangtuch der Rotgerberzunft, ölharz-gebundene Malerei auf Leinen, Bamberg 1616, Historisches Museum Bamberg Inv.-Nr. HVB Rep. 21, Nr. 510. (Rechte: © Museen der Stadt Bamberg, Bestand Historischer Verein Bamberg, Fotos: Tanja Kohwagner-Nikolai)

Oft sind die Buchstaben wie z. B. bei dem Namen Hạṇß Kṛụṃḅḥọḷṭẓ nur mehr an den Veränderungen, die sie auf dem Leinengrund hinterlassen haben, zu erahnen. Die Ergänzung wird durch eine Rechnung vom 30. April 1616 Stadtarchiv Bamberg, HV Rep. 2,2 Nr. 1961. gestützt, die als Viermeister Wolff Weiglein, Hannß Krumbholz, Nicolauß Kellner und Hannß Krapp nennt. Dieser Quelle zufolge müsste am Fürhangtuch der zweite Name Wolf(gang) Weiglein statt Ẉ[olff] Ẉẹịg̣ḷṭ zu lesen sein, doch erhielt der letzte erhaltene Buchstabe einen Balken, so dass er als t erscheint, obwohl er doch deutlich niedriger als das benachbarte l ist und in der Höhe damit eher den Buchstaben im Mittellängenbereich entspricht. Es könnte sich hier um ein fehlerhaft retuschiertes e oder eine Kürzungsschleife handeln. Im Bereich des Namens Nic­laß Kellnẹrr ist die weiße Farbe verwischt. Nicht immer ist deutlich zu erkennen, was Originalbestand und was Zutat einer späteren Res­tau­rie­rung ist.

3.4 Gedruckte Inschriften

Bei gedruckten Inschriften ist zwischen zwei Techniken zu unterscheiden: dem Positiv- und dem Negativdruck. Letzterer ist ein Druckverfahren, bei dem Schrift und Zeichnung dadurch sichtbar werden, dass ihre Umgebung mit Farbe bedruckt wird, sie selbst jedoch ausgespart und an diesen Stellen die ursprüngliche Farbe des Trägergewebes sichtbar bleiben. Die Sittener Tapete Sog. Sittener Tapete, Negativdruck in Schwarz und Rot auf Leinen, 106 × 264 cm, Oberitalien, 3. Drittel 14. Jahrhundert, Historisches Museum Basel Inv.-Nr. 1897.48. (Abb. 47) gilt nach derzeitigem Forschungsstand als ältestes erhaltenes Beispiel eines Zeugdrucks mit Holzmodeln im Negativverfahren auf Leinen und zeigt im unteren Register Szenen aus der Ödipussage, die von Tituli in Gotischer Majuskel begleitet werden.

Abb. 47

Abb. 47: Die sog. Sittener Tapete, Negativdruck in Schwarz und Rot auf Leinen, Oberitalien, 3. Drittel 14. Jahrhundert, Historisches Museum Basel Inv.-Nr. 1897.48. (Rechte: Historisches Museum Basel, Foto: M. Babey)

1571 wurden im Positivverfahren die Buchstaben einer Neudörfer-Andreä-Fraktur von 1526 Crous/​Kirchner (1928) S. 63. als Vorzeichnung auf ein Leinentüchlein Leinentuch mit dem Totengedächtnis für Hieronymus Imhoff und seine Gattinnen, Vordruck (Typen-Druck) in Schwarz auf Leinen, Kreuzstich in Seide, 17,3 × 25,8 cm, Nürnberg 1571, Historisches Museum Bamberg Inv.-Nr. HVB Rep. 21, Nr. 749; DIO 6 (Stadt Bamberg (Textilien)) Nr. 12. (Abb. 48) – wiederum mit dem Totengedächtnis für Hieronymus Imhoff und seine beiden verstorbenen Ehefrauen Magdalena Tucher und Barbara Letscher – gedruckt, das von der dritten Gattin Dorothea Hegner in Auftrag gegeben worden ist.

Abb. 48

Abb. 48: Leinentuch mit dem Totengedächtnis für Hieronymus Imhoff und seine Gattinnen, Vordruck (Typen-Druck) in Schwarz auf Leinen, Kreuzstich in Seide, Nürnberg 1571, Historisches Museum Bamberg Inv.-Nr. HVB Rep. 21, Nr. 749. (Rechte: © Museen der Stadt Bamberg, Bestand Historischer Verein Bamberg, Foto: Tanja Kohwagner-Nikolai)

Die Buchstaben waren ehemals in heute zum größten Teil ausgefallener schwarzer Seide mit einer Art Kreuzstich überstickt, der vermutlich zusätzlich durch einen Knötchen- oder Schlingstich gehöht war. Die Bestimmung der Sticktechnik ist schwierig, da man in der Regel nur die Einstichlöcher unmittelbar neben dem gedruckten Buchstaben sieht. Aufgrund dieser Löcher ist davon auszugehen, dass die Schrift im überstickten Zustand etwas kräftiger wirkte. An manchen Stellen hat die Farbe des Stickfadens ausgeblutet, sodass die Ränder verschwommen wirken. Die Tatsache, dass die Buchstaben gedruckt sind, legt den Schluss einer Serienproduktion nahe. Bestätigt wird dies durch einen weiteren Leinenstreifen Leinenstreifen mit drei Textblöcken (Totengedächtnis für Hieronymus Imhoff und seine Ehefrauen sowie Ahnenprobe), Typen-Druck auf Leinen, 19,5 × 79 cm, Nürnberg 1571, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Graphische Sammlung Inv.-Nr. HB 870; Kohwagner-Nikolai (2016). (Abb. 49), der mit demselben Druckstock bedruckt wurde. Hier finden sich allerdings keine Spuren einer Überstickung.

Abb. 49

Abb. 49: Leinenstreifen mit drei Textblöcken (Totengedächtnis für Hieronymus Imhoff und seine Ehefrauen sowie Ahnenprobe), Typen-Druck auf Leinen, Nürnberg 1571, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Graphische Sammlung Inv.-Nr. HB 870. (Rechte: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Foto: Georg Janßen)

4. Textile Inschriften – Vermittlungsmedium epigraphischer Schriftentwicklung

Dieser Überblick konzentrierte sich weitestgehend auf textile Inschriften, wobei Perl- und Metallstickerei oder Pergamentschriftbänder aufgrund des nichttextilen Materials in den Bereich von Inschriften auf Textilien einzuordnen sind. Daneben gibt es, wie das Beispiel der Schließe des weißen Kunigundenmantels Schließe des weißen Kunigundenmantels, Metallprägung (Silberblech?), 1,4 × 1,6 cm (ohne Öse), frühes 15. Jahrhundert (?), Diözesanmuseum Bamberg Inv.-Nr. 3.3.0002-1. (Abb. 50) zeigt, noch Objekte mit Inschriften, die in Zweitverwendung aus einem völlig anderen Ursprungskontext auf ein Textil aufgebracht wurden. Vgl. Kowalski (2020) S. 205.

Abb. 50

Abb. 50: Die Schließe des weißen Kunigundenmantels, Diözesanmuseum Bamberg Inv.-Nr. 3.3.0002. (Rechte: Diözesanmuseum Bamberg, Foto: Tanja Kohwagner-Nikolai)

Insgesamt fällt auf, dass textile Inschriften aufgrund der verschiedenen Techniken eine weit größere Vielfalt nicht nur in ihrem Herstellungsprozess, sondern auch in ihrer Veränderbarkeit im Laufe der Jahrhunderte zeigen, als dies bei anderen Materialien der Fall ist. Zusätzlich ist durch die teilweise Nähe zur Buchmalerei und zum Buchdruck neben epigraphischen Schriften auch die parallel stattfindende Entwicklung von Hand- und Buchschriften als Vergleich heranzuziehen. Oft gehör(t)en textile Schriften zur Avantgarde epigraphischer Schriftentwicklung und dienten aufgrund ihrer leichten Transportierbarkeit als Vermittlungsmedium.

5. Literatur

Appuhn (1961)

Appuhn, Horst, Der Wappenteppich der Äbtissin Katharina von Remstede im Kloster Wienhausen. Eine Lüneburger Wirkerei von 1501, in: Lüneburger Blätter 11/​12 (1961) S. 9-11.

Bartusch (2015/​2016)

Bartusch, Jan Ilas, Der Freudenstädter Taufstein und das Bietenhausener Tympanon – Zwei frühe Steinmetzarbeiten der Alpirsbacher Klosterbauhütte, in: Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte (2015/​2016) S. 1-24.

Baumgärtel-Fleischmann (1990)

Baumgärtel-Fleischmann, Renate, Der Sternenmantel Kaiser Heinrichs II. und seine Inschriften, in: Koch, Walter (Hg.), Epigraphik 1988. Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik, Graz, 10.-14. Mai 1988, Referate und Round-Table-Gespräche (Österreichische Akademie der Wissenschaften 213; Veröffentlichungen der Kommission für die Herausgabe der Inschriften des Deutschen Mittelalters 2) Wien 1990, S. 105-125.

Bellmann (1983)

Bellmann, Fritz, Ein Knüpfteppichfragment des 12. Jahrhunderts im Dom zu Halberstadt, in: Denkmale in Sachsen-Anhalt. Ihre Erhaltung und Pflege in den Bezirken Halle und Magdeburg. Weimar 1983, S. 389-410.

Blöcher (2012)

Blöcher, Heidi, Die Mitren des hohen Mittelalters (Abegg-Stiftung). Riggisberg 2012.

Bornschlegel (2006)

Bornschlegel, Franz-Albrecht, Die gotische Majuskel im deutschen Sprachraum, in: Martín López, Maria Encarnación­ / Gracía Lobo, Vicente (Hgg.), Las Inscripciones Góticas. II. Coloquio Internacional de Epigrafía Medieval. León del 11 al 15 de septiembre 2006 (Corpus Inscriptionum Hispaniae Mediaevalium). León 2010, S. 203-235.

Crous/​Kirchner (1928)

Crous, Ernst­ / Kirchner, Joachim, Die gotischen Schriftarten. Leipzig 1928.

DI 35 (Stadt Braunschweig I)

Die Inschriften der Stadt Braunschweig bis 1528, bearb. v. Andrea Boockmann auf Grund einer Materialsammlung von Dietrich Mack (DI 35). Wiesbaden 1993.

DI 56 (Stadt Braunschweig II)

Die Inschriften der Stadt Braunschweig von 1529 bis 1671, ges. u. bearb. v. Sabine Wehking auf Grund einer Materialsammlung von Dietrich Mack (DI 56). Wiesbaden 2001.

DI 59 (Lemgo)

Die Inschriften der Stadt Lemgo, nach der Sammlung und den Vorarbeiten von Hans Fuhrmann bearb. v. Kristine Weber und Sabine Wehking (DI 59) Wiesbaden 2004.

DI 75 (Halberstadt Dom)

Die Inschriften des Doms zu Halberstadt, ges. u. bearb. v. Hans Fuhrmann (DI 75). Wiesbaden 2009.

DI 76 (Lüneburger Klöster)

Die Inschriften der Lüneburger Klöster. Ebstorf, Isenhagen, Lüne, Medingen, Walsrode, Wienhausen, ges. u. bearb. v. Sabine Wehking (DI 76). Wiesbaden 2009.

DI 83 (Holzminden)

Die Inschriften des Landkreises Holzminden, ges. u. bearb. v. Jörg H. Lampe u. Meike Willing (DI 83). Wiesbaden 2012.

DI 84 (Weilheim-Schongau)

Die Inschriften des Landkreises Weilheim-Schongau, ges. u. bearb. v. Manfred Merk, redaktionell bearb. v. Ramona Baltolu u. Christine Steininger (DI 84). Wiesbaden 2012.

DI 96 (Northeim)

Die Inschriften des Landkreises Northeim, bearb. v. Jörg H. Lampe u. Christine Wulf (DI 96). Wiesbaden 2016.

DI 102 (Stralsund)

Die Inschriften der Stadt Stralsund, ges. u. bearb. v. Christine Magin (DI 102). Wiesbaden 2016.

DI 104 (Schaumburg)

Die Inschriften des Landkreises Schaumburg, bearb. v. Katharina Kagerer unter Benutzung der Vorarbeiten v. Inga Finck (DI 104) Wiesbaden 2018.

DI 109 (Stadt Landshut)

Die Inschriften der Stadt Landshut, ges. u. bearb. v. Ramona Baltolu, Mirjam Goeth, Tanja Kohwagner-Nikolai und Christine Steininger (DI 109) Wiesbaden – im Druck.

DIO 6 (Stadt Bamberg (Textilien))

Die textilen Inschriften im Bereich der Stadt Bamberg bis 1650, ges. u. bearb. v. Tanja Kohwagner-Nikolai (DIO 6) 2015.

Durian-Ress (1986)

Durian-Ress, Saskia, Meisterwerke mittelalterlicher Textilkunst aus dem BNM. München 1986.

Grönwoldt (1964)

Grönwoldt, Ruth, Textilien I: Webereien und Stickereien des Mittelalters, Kestner-Museum Hannover. Hannover 1964.

Eisermann (1996)

Eisermann, Falk, Die Inschriften auf den Textilien des Augustiner-Chorfrauenstifts Heiningen, in: Nachrichten Göttingen 6 (1996) S. 227-277.

Kloos (1992)

Kloos, Rudolf M., Einführung in die Epigraphik des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Darmstadt 21992.

Kohwagner/​Drewello/​Ruß (2016)

Kohwagner-Nikolai, Tanja­ / Drewello, Ursula­ / Ruß, Sibylle, Goldgestickte Vergangenheitsinszenierung. Technologische, naturwissenschaftliche und kunsthistorische Untersuchungen der Bamberger Kaisergewänder, in: Restauro (5/​2016) S. 48-53.

Kohwagner/Päffgen/Steininger (2021)

Kohwagner-Nikolai, Tanja­ / Päffgen, Bernd­ / Steininger, Christine (Hgg.), Über Stoff und Stein: Knotenpunkte von Textilkunst und Epigraphik. Beiträge zur 15. internationalen Fachtagung für mittelalterliche und frühneuzeitliche Epigraphik. Wiesbaden 2021.

Kohwagner-Nikolai (2006)

Kohwagner-Nikolai, Tanja, per manus sororum … Niedersächsische Bildstickereien im Klosterstich (1300-1583). München 2006.

Kohwagner-Nikolai (2009)

Kohwagner-Nikolai, Tanja, Inschriften auf Textilien. Oder: Wie läuft der Faden? Versuch einer Annäherung an materialspezifische Eigenheiten, in: Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- u. Wappenkunde 55 (2009) S. 225-262.

Kohwagner-Nikolai (2013)

Kohwagner-Nikolai, Tanja, Der Zug der Heiligen Drei Könige und Hugo von Trimberg: Neue Überlegungen zum Bamberger Antependium, in: Berichte des Historischen Vereins Bamberg 149 (2013) S. 49-64.

Kohwagner-Nikolai (2014)

Kohwagner-Nikolai, Tanja, O Decus Europae Cesar Heinrice? Die Saumumschrift des sogenannten Bamberger Sternenmantels Kaiser Heinrichs II., in: Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- u. Wappenkunde 60 (2014) S. 135-164.

Kohwagner-Nikolai (2016)

Kohwagner-Nikolai, Tanja, »betruebt und traw­rig bisz an mein end« Textiles Totengedächtnis für Hieronymus Imhoff in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums (2016) S. 205-228.

Kohwagner-Nikolai (2019a)

Kohwagner-Nikolai, Tanja, Per manus sororum? Überlegungen zur Genderfrage bei der Herstellung von Paramenten, in: Röper, Ursula­ / Scheuer, Hans Jürgen (Hgg.), Paramente in Bewegung. Bildwelten liturgischer Textilien (12. bis 21. Jahrhundert) Regensburg 2019, S. 139-150.

Kohwagner-Nikolai (2019b)

Kohwagner-Nikolai, Tanja, ISMAHEL ORDINAVIT versus HOC CESARIS DONVM. Goldgestickte Vergangenheitsinszenierung mit widersprüchlichen Inschriften?, in: Ehmig, Ulrike (Hg.), Vergesellschaftete Schriften, Beiträge zum internationalen Workshop der Arbeitsgruppe 11 am SFB 933 (Philippika 128). Wiesbaden 2019, S. 197-218.

Kohwagner-Nikolai (2020a)

Kohwagner-Nikolai, Tanja, Der Einfluss des Fremden. Die textilen Inschriften der Bamberger Kaisergewänder – ein Zwischenbericht, in: Giersiepen, Helga­ / Stieldorf Andrea (Hgg.), Über Grenzen hinweg – Inschriften als Zeugnisse kulturellen Austauschs. Beiträge zur 14. Fachtagung für mittelalterliche und frühneuzeitliche Epigraphik in Düsseldorf 2016 (Symposium der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste 13). Paderborn 2020, S. 105-135.

Kohwagner-Nikolai (2020b)

Kohwagner-Nikolai, Tanja, Reich und gelehrt – ideelle und materielle Grundlagen zur Herstellung klösterlicher Textilkunst, in: Biermann, Felix­ / Frey, Katrin­ / Gleba, Gudrun (Hgg.), Mittelalterliche Zisterzienserinnenklöster im südwestlichen Ostseeraum. Materielles Gut zwischen Alltag und Spiritualität. Beiträge einer Fachtagung im Dominikanerkloster Prenzlau vom 25.-28. September 2019 (Arbeitshefte zur Bodendenkmalpflege in Brandenburg 35). Wünsdorf 2020, S. 201-211.

Kohwagner-Nikolai (2020c)

Kohwagner-Nikolai, Tanja, Kaisergewänder im Wandel – Goldgestickte Vergangenheitsinszenierung. Rekonstruktion der tausendjährigen Veränderungsgeschichte. Regensburg 2020.

Kohwagner-Nikolai (2021)

Kohwagner-Nikolai, Tanja, Über Stoff – Liturgische Gewänder und ihre Inschriften. In: Kohwagner/Päffgen/Steininger (2021) S. 24-41.

Kowalski (2020)

Kowalski, Krzysztof Maciej, Inschriften auf gotischen Trachtenaccessoires in hanseatischen Städten. Form, Text und Funktion der Epigraphik mittelalterlicher Kleidung, in: Giersiepen, Helga­ / Stieldorf Andrea (Hgg.), Über Grenzen hinweg – Inschriften als Zeugnisse kulturellen Austauschs. Beiträge zur 14. Fachtagung für mittelalterliche und frühneuzeitliche Epigraphik in Düsseldorf 2016 (Symposium der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste 13). Paderborn 2020, S. 185-209.

Lähnemann (2005)

Lähnemann, Henrike, ‘An dessen bom wil ik stighen.’ Die Ikonographie des Wichmannsburger Antependiums im Kontext der Medinger Handschriften, in: Oxford German Studies 34,1 (2005) S. 19-46.

Michael (1985)

Michael, Eckhard, Bildstickereien aus Kloster Lüne als Ausdruck der Reform des 15. Jahrhunderts, in: Die Diözese Hildesheim in Vergangenheit und Gegenwart 53 (1985) S. 63-78.

Päffgen (2021)

Päffgen, Bernd, Die Speyerer Bischofsgräber und die in ihnen entdeckten Gewandteile des Pontifikalornats des 11. bis 13. Jahrhunderts mit Inschriften. In: Kohwagner/Päffgen/Steininger (2021) S. 45-71.

Peter (2021)

Peter, Michael, Samte mit gewebten Inschriften, in: Kohwagner/Päffgen/Steininger (2021) S. 121-140.

Pregla (2009)

Pregla, Barbara, Leinentuch mit zwei Szenen aus dem Leben der hl. Magdalena, in: Puhle, Matthias (Hg.), Aufbruch in die Gotik. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit, Katalog zur Ausstellung aus Anlass des 800. Domjubiläums vom 31. August bis zum 6. Dezember 2009 im Kulturhistorischen Museum Magdeburg. Mainz 2009, Bd. 2, S. 222-225.

Radke (2014)

Radke, Anna Elissa, Die Inschriften des Fischbecker Wandteppichs mit philologischer Kunststopferei wieder hergestellt, in: Mittellateinisches Jahrbuch 49, 3 (2014) S. 469-477.

Rädle (2015)

Rädle, Fidel, Philologische Flickschusterei: zu einem Versuch, die Inschriften des Fischbecker Wandteppichs wiederherzustellen, in: Mittellateinisches Jahrbuch 50 (2015) S. 305-320.

Rapp Buri/​Stucky-Schürer (1990)

Rapp Buri, Anna­ / Stucky-Schürer, Monica, Zahm und wild: Basler und Straßburger Bildteppiche des 15. Jahrhunderts. Mainz 21990.

Schorta (2001)

Schorta, Regula, Monochrome Seidengewebe des hohen Mittelalters. Untersuchungen zu Webtechnik und Musterung. (Diss. Bern 1995) Berlin 2001.

Stauffer (2016)

Stauffer, Annemarie, Die geordnete Welt – Ein antikes Himmelsbild. Die Decke aus dem Schrein der heiligen Ewalde in St. Kunibert, in: Colonia Romanica 31 (2016) S. 33-52.

Vogt (2016)

Vogt, Caroline, Mitre, in: Browne Clare, Davies Glyn, Michael M.A. (Hg.), English Medieval Embroidery, Opus Anglicanum. Katalog zur Ausstellung Opus Anglicanum. Masterpieces of English Medieval Embroidery im Victoria and Albert Museum London vom 1. Oktober 2016 bis zum 5. Februar 2017. New Haven – London 2016, S. 19-20.

Wehking/​Wulf (1990)

Wehking, Sabine­ / Wulf, Christine, Die Inschriften des Stifts Fischbeck bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, in: Dinkelacker, Wolfgang (Hg.), Ja muz ich sunder riuwe sin. Festschrift für Karl Stackmann zum 15. Februar 1990, S. 51-82.

Wilckens (1972)

Wilckens, Leonie von, Prunkhandtuch, in: Bayern. Kunst und Kultur, Katalog zur Ausstellung im Stadtmuseum München vom 9. Juni bis 15. Oktober 1972. München 1972, S. 358.

Wilckens (1980)

Wilckens, Leonie von, Bildteppiche (Museum der Stadt Regensburg) Regensburg 1980.

Wilckens (1985)

Wilckens, Leonie von, Decke aus dem Schrein der heiligen Ewalde, in: Legner, Anton (Hg.), Ornamenta Ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik. Katalog zur Ausstellung des Schnütgen-Museums in der Josef-Haubrich-Kunsthalle. Köln 1985, Bd. 1, S. 62.

Wilckens (1991)

Wilckens, Leonie von, Die textilen Künste. Von der Spätantike bis um 1500. München 1991.

6. Glossar

Basse-lisse-Stuhl

Wirkstuhl zur Herstellung von Tapisserien (Wirkereien), bei dem die Kette horizontal vor dem Wirker aufgespannt ist.

Baumwolle

Baumwolle ist eine Pflanzengattung innerhalb der Familie der Malvengewächse (Malvaceae). Es gibt heute bis zu 51 verschiedene Arten in den Tropen und Subtropen. Für ihre Domestizierung werden vor allem Indien und Indonesien sowie das nördliche Andengebiet und eventuell der Südwesten Nordamerikas oder Zentralamerika angenommen, wo etwa zeitgleich, aber unabhängig voneinander mit Anbau und Verwendung begonnen wurde. Ab dem 6. Jahrhundert wurde Baumwolle im Vorderen Orient, Arabien und Ägypten zum üblichen Material für Arbeitskleidung; die Mauren bauten Baumwolle in Spanien extensiv an. Bis um 1600 war Baumwolle allerdings im Abendland durchaus ein Luxusgut, das nicht weniger als Seide geschätzt wurde. Bereits gegen Ende des 14. Jahrhunderts zog Venedig das Handelsmonopol levantinischer Baumwolle an sich und behielt es bis ins 17. Jahrhundert. Zugleich nahm an den großen Umschlagplätzen nördlich der Alpen die Baumwollverarbeitung stark zu. Mittelpunkt war seit dem 14. Jahrhundert Augsburg, das fast alle abendländischen Märkte mit seinen Barchenten (Mischgewebe aus Baumwolle und Leinen) versorgte. Mit der Ausweitung des Fernhandels in der frühen Neuzeit verdrängte die Baumwolle auch in Nord- und Mitteleuropa zunehmend Leinen und Hanf.

Faden

Ein Faden ist ein aus Fasern zusammengesetztes Gebilde, das als textiles Zwischenprodukt zur Herstellung von Geweben, zum Nähen und Verzieren verwendet wird. Faden wird heute als Überbegriff für Garne und Zwirne verstanden, wobei Garn als Synonym der ältere Begriff ist. Dabei ist Faden ursprünglich nur ein kurzes Stück Garn, während das Garn in der Regel das „endlos“ gedachte Produkt bezeichnet und durchaus aus mehreren Fäden bestehen kann. Die Fäden können im Garn parallel neben einander liegen oder miteinander verdreht, verzwirnt sein. Ein Zwirn (mittelhochdeutsch für Doppelfaden) besteht aus mehreren zusammengedrehten Fäden, die aus demselben oder aus unterschiedlichem Material bestehen können.

Fraktur

Für die Schriftart, die im epigraphischen Kontext vorwiegend in der frühen Neuzeit Verwendung fand, sind Schwellzüge und Schwellschäfte sowie die spitzovale Grundform der geschlossenen Bögen charakteristisch. Die Schäfte von f und Schaft-s reichen bis unter die Grundlinie, die Oberlängen enden nicht stumpf (sondern gespalten, ausgezogen, mit Zierformen etc.). Einstöckiges a tritt in der Fraktur auf, ist aber weder notwendiges noch hinreichendes Kriterium für das Vorliegen dieser Schriftart.

Gotische Majuskel

Mischmajuskel – in Fortführung der Entwicklung der romanischen Majuskel – mit zunehmendem Anteil runder Formen. Typisch sind keilförmig verbreiterte Schaft- und Balkenenden, Bogenschwellungen, eine gesteigerte, einheitlichen Prinzipien folgende Flächigkeit sowie die Vergrößerung der Sporen an Schaft-, Balken- und Bo­gen­en­den, die zu einem völligen Abschluss des Buchstaben führen können.

Gotische Minuskel

Die Schriftart entspricht in ihrer Reinform dem Idealtyp der Textura der Buchschrift. Wie alle Minuskelschriften steht sie in einem Vierlinienschema, bei dem die Zeile in drei Schriftzonen (Unter-, Mittel- und Oberlängenbereich) eingeteilt ist. Kennzeichen sind neben dem (eher) gitterförmigen Charakter die Brechungen von Schäften und Bögen. Im Mittellängenbereich stehende Schäfte werden an der Oberlinie des Mittellängenbereichs und der Grundlinie gebrochen. Bögen werden durch (stumpfwinklige) Brechungen und­ / oder durch (spitzwinkliges) Abknicken in senkrechte und in der Regel linksschräge Bestandteile umgeformt.

Häutchengold

Blattgold, das auf eine tierische Membran, häufig Darmhäutchen von Rind oder Schaf oder auch Tierhaut geklebt, dann in schmalen Streifen geschnitten um eine Seele gesponnen wurde. Die Blütezeit der Verwendung war vom späten 10. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Im 11. Jahrhundert wird Häutchengold auch als „cyprisches Gold“ bezeichnet. Das Häutchengold ist weniger glänzend und abriebgefährdeter als Goldlahn, aber deutlich kostengünstiger.

Haute-lisse-Stuhl

Wirkstuhl zur Herstellung von Tapisserien (Wirkereien), bei dem die Kette senkrecht vor dem Wirker steht.

Kantille

von franz. cannetille, bezeichnet einen feinen, spiralartig um einen später entfernten Kern gewickelten Gold- oder Silberdraht, der – in kleine Abschnitte geschnitten – wie Perlen verwendet werden kann. Ein anderer Name ist Bouillon(draht).

Kapitalis

Diese Schriftart ist die Monumentalschrift der Antike, die – in mehr oder weniger geschickter Umsetzung – die epigraphische Schrift der Spätantike und des Frühmittelalters bleibt. Sie tritt in regional sehr unterschiedlichen rustikalen, verschieden stark stilisierten Ausführung auf. Die karolingische Kapitalis nimmt in Anlehnung an die antiken Vorbilder deren Merkmale wieder auf und erreicht gelegentlich deren hohes Niveau. Die enge Orientierung an der klassischen Schriftausprägung nimmt dann bei der spätkarolingischen bzw. karolingisch-ottonischen Kapitalis allmählich ab. Die klassischen Kapitalisformen und ihre charakteristischen Merkmale werden in der Renaissancekapitalis wieder aufgegriffen. Diese jüngeren Kapitalisschriften des 15. bis 17. Jahrhunderts weisen nur in seltenen Fällen die strengen Konstruktionsprinzipien der antiken Kapitalis auf, sondern kommen in vielfältigen Erscheinungsformen vor.

Lahn

Für Gold- oder Metallfäden werden dünne Lahnstreifen aus Metall spiralförmig um einen Seidenfaden (= Seidenseele) gewickelt. Da Lahnstreifen nur in begrenzter Länge vorlagen und sich die Länge durch das Wickeln weiter verringert, wurde ein längerer Faden durch das Übereinanderlegen und gemeinsame Wickeln beider Streifen hergestellt.

Leinen

Leinen (mittelhochdt. līnīn, ‚linnen, aus Flachs‘, altgr. linon und lat. linum) oder Flachs bezeichnet die pflanzliche Faser des Gemeinen Leins (Linum usitatissimum) und auch die daraus gefertigten Gewebe. Die Naturfaser ist gut zu Fäden verspinnbar, sehr reißfest und bildet keine Flusen. Leinen wird seit über 30.000 Jahren zur Herstellung von Kleidung verwendet. Im Mittelalter wurde es aufgrund seiner schmutzabweisenden Eigenschaften und der Waschbarkeit mit hohen Temperaturen für körpernahe und rein weiß zu haltende Textilien wie Hemden, Hauben und Altarwäsche eingesetzt. Aufgrund der Stabilität und vergleichsweise kostengünstigen Herstellungsmöglichkeiten war es zudem beliebter Untergrund beispielsweise für vollflächige Stickereien, aber auch für Leinenpanzer. Die Aufbereitung geschieht 1. durch das Rösten oder Rotten (Gärungsprozess), 2. durch das Brechen (Lösen der Holzteile), 3. durch das Schwingen (Reinigen der Faser durch Schlagen und Streifen mit Hilfe des Schwingstockes und des Schwingmessers), 4. durch das Hecheln (Kämmen der Fasern als Vorbereitung zum Spinnen). Anschließend erfolgt das Spinnen zum Faden bzw. Garn und die Weiterverarbeitung.

Mitra

Mitra (lat. mitra Kopfbinde) im christlichen Kontext bezeichnet den liturgischen Kopfschmuck von Bischöfen und kirchlichen Würdenträgern mit eigenem Jurisdiktionsbereich wie infulierten Äbten. Sie ist erstmals Mitte des 10. Jahrhunderts in Rom bezeugt und um 1000 auch außerhalb Roms. Leo IX. (1049-1054) gewährte einigen Bischöfen und Erzbischöfen das Privileg, die Mitra zu tragen, wenn auch teilweise nur an gewissen Festtagen und in bestimmten Kirchen. Spätestens im 12. Jahrhundert wird sie nicht mehr durch den Papst verliehen, sondern zum üblichen Kopfschmuck der Bischöfe. Im Mittelalter kann auch das Wort infula (Kopfbinde) die Mitra bezeichnen. Allerdings ist dies nicht als Synonym zu verstehen, denn es meint im übertragenen Sinne auch die bischöfliche Würde und damit auch den dem Bischof zustehenden Pontifikalornat allgemein.

Nodus

(lat. nodus ‚Knoten‘) knotenförmige Verzierung.

Pontifikalschuhe

Pontifikalschuhe bilden zusammen mit den Pontifikalstrümpfen (caligae) die Fußbekleidung, die beim Pontifikalamt getragen wurde. Nachweise einer liturgischen Fußbekleidung bei Klerikern aller Weihestufen finden sich auf Mosaiken und in schriftlichen Dokumenten ab dem 6. Jahrhundert. In Rom werden sie zunächst vom Papst, Bischof und Diakonen getragen, außerhalb Roms auch von Priestern, Subdiakonen und Akolythen. Seit dem 11. Jahrhundert ist das Tragen eines besonderen Schuhs nur noch dem Papst, Bischöfen, Kardinalpriestern und ‑diakonen gestattet und demjenigen, der dies vom Papst bewilligt bekam. Das Anlegen der Pontifikalschuhe gehörte zum Ritus der Bischofsweihe. Der zunächst offene, sandalenartige Pontifikalschuh entwickelte sich vom 11. bis 13. Jahrhundert in einen geschlossenen, teilweise knöchelhohen Schuh, der bis ins Spätmittelalter in Gebrauch blieb.

Rationale

Ein Rationale ist ein liturgischer, in der Regel pontifikaler Schulterschmuck, der üblicherweise ausschließlich über der Kasel (fast nur nördlich der Alpen) getragen wird. In der Vulgata bezeichnet rationale den prunkvollen, mit zwölf Juwelen besetzten Brustschild bzw. die mit diesem Schild besetzte Lostasche (Choschen) der alttestamentlichen Hohepriester (Ex 28, 6-30). Darunter trugen die Hohepriester des Alten Testaments einen textilen Schulterkragen, das Ephod. Dieser Begriff wird in der Vulgata mit superhumerale übersetzt. Hinsichtlich des Materials und des Schnitts leiten sich die erhaltenen textilen Rationale folglich eher vom Ephod ab, weshalb die Begriffe „Rationale“ und „Superhumerale“ im deutschsprachigen Raum meist synonym verwendet werden. Es haben sich unterschiedliche Form- und Tragevarianten überliefert. Der älteste Typ, den das Bamberger Rationale überliefert, setzt sich aus einem querrechteckigen Brust- und Rückteil zusammen, die jeweils seitlich durch längere Zierstreifen eingefasst und durch Scheiben an den Schultern verbunden werden. Anfangs waren sie noch fest mit der Kasel verbunden bzw. darauf angebracht. Das Tragen des Rationales wurde ab Mitte des 10. Jahrhunderts zum Teil als päpstliches Privileg mit Urkunde zahlreichen Bischöfen und ihren Nachfolgern verliehen. Die Verleihung durch den Papst scheint in der Frühphase jedoch eher die Ausnahme gewesen zu sein.

Romanische Majuskel

Mischmajuskel aus eckigen und runden Buchstabenformen. Ausgehend von einem im wesentlichen kapital bestimmten Alphabet werden zusätzlich runde (unziale und andere), aber auch eckige Sonderformen (z. B. eckige C und G) aufgenommen. Es entsteht so eine oft recht variantenreiche Schrift aus vermischten Majuskelformen mit linearem Grundcharakter. Der Anteil der zusätzlichen Buchstabenformen nimmt im Allgemeinen im Laufe der Entwicklung der romanischen Majuskel zu. Als weitere gestalterische Mittel werden vor allem in der Frühphase der romanischen Majuskel Ligaturen, Enklaven etc. verwendet.

Seide

Seide (mittellat. seta, zu lat. sēricus) bezeichnet in der Regel die tierische Faser aus den Kokons der Seidenraupe, der Larve des Seiden- bzw. Maulbeerspinners (Bombyx mori) und die daraus gefertigten Gewebe. Seide ist die einzige in der Natur vorkommende textile Endlos-Faser, die dadurch ihren hohen Glanz erhält. Meist wurden die abgehaspelten Fäden zunächst entbastet, d.h. der Seidenleim (durch Abkochen) entfernt. Seide wird spätestens seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. in China zur Textilproduktion verwendet, archäologische Funde weisen auf eine Nutzung seit der Jungsteinzeit. Seit Mitte des 6. Jahrhunderts konnte Seide in Byzanz hergestellt werden. Im Mittelalter war Seide als teure Importware kostbarer Luxus. Spätestens ab dem 12. Jahrhundert wurde Italien in der Produktion europäischer Seide führend, aber auch in Spanien lassen sich Produktionsstätten nachweisen. Im deutschsprachigen Raum beginnt die Produktion einheimischer Seide erst in der frühen Neuzeit.

Steppstich

Der Steppstich ist ein Vorstich, der in zwei Arbeitsrichtungen ausgeführt wird, also die Lücken zwischen den Vorstichen schließt.

(Bild)Wirkerei

(Bild)wirkerei ist der deutschsprachige Begriff für Arbeiten in Tapisserietechnik, umgangssprachlich wird sie oft auch als Gobelin bezeichnet, was jedoch nur für Tapisserien aus der französischen Hofmanufaktur des Gobelins zutrifft.

Wolle

Wolle bezeichnet die weichen, spinnfähigen Haare des Fells von Säugetieren, vor allem von Schafen, und das daraus gewonnene Garn. Aufbereitungsvorgänge nach der Schur der Tiere sind: das Entfernen von Schmutz und Fetten durch Waschen der Rohwolle, das Auflockern der Wolle durch Kratzen oder Zupfen, Krempeln oder Kardieren und schließlich das Ordnen und Aussortieren der kurzen Fasern durch Kämmen, wodurch der Kammzug entsteht, der zu Kammgarn versponnen wird. Wolle ist ein nachwachsender Rohstoff, der seit dem 4. Jahrtausend v. Chr. verwendet wird. Im Abendland hat sich die Schafthaltung zur Wollnutzung spätestens mit dem Übergang zur Bronzezeit endgültig etabliert. Wolle wärmt, nimmt Schmutz schlecht an, knittert kaum, ist gut zu färben und sehr farbbeständig. Wolle nimmt wenig Gerüche (z. B. Schweiß) an und riecht nach kurzem Lüften wieder neutral. Die aus Wolle hergestellten Gewebe werden als Tuch, Filz oder Loden bezeichnet und häufig durch Walken und Scheren veredelt.